von Martin Stöhr
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„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Dieser Text ist in unzähligen in- und ausländischen Schulbüchern und Gedenkreden verbreitet worden. Zu Recht. Es benennt selbstkritisch eine Haltung, die exemplarisch nach dem Schuldigwerden am Anfang von Unrecht und Gewalt fragt. Varianten fügten in die Liste mal die Katholiken, mal die Juden, mal die Homosexuellen ein. Nach dem Anlass und dem Inhalt dieser verdichteten Position befragt, erklärte Martin Niemöller später im Gespräch mit Hannes Karnick und Wolfgang Richter (zit. nach: „Niemöller – Was würde Jesus dazu sagen?“, Ffm 1986)
„Das war kein Gedicht, nein, ich hatte mal in (Hans-Joachims) Oefflers Gemeinde (in Kaiserslautern-Siegelbach Ostern 1976) gepredigt…Da hatten wir hinterher eine Besprechung in einem Gemeindesaal…Da haben die Leute….vom Leder gezogen. Und dann haben sie gefragt, ob wir denn nicht aufgewacht wären nach der ‚Kristallnacht’ 1938. Und ich sage, um Gottes Willen, also fragen Sie mich nicht nach 38, ich bin 37 in die Gefangenschaft gekommen.“ Er verweist darauf, dass nach dem Reichstagsbrand und dem. „Ermächtigungsgesetz“ (23.3.1933) „erst mal die Kommunisten eingesperrt“ wurden. Die „waren ja keine Freunde der Kirche, im Gegenteil, und deshalb haben wir damals geschwiegen…. Es gab keine Niederschrift oder Kopie von dem was ich gesagt hatte, und es kann durchaus gewesen sein, dass ich das anders formuliert habe. Aber die Idee war jedenfalls: Die Kommunisten, das haben wir ruhig passieren lassen; und die Gewerkschaften, das haben wir auch noch passieren lassen; und die Sozialdemokraten haben wir auch noch passieren lassen. Das war alles nicht unsere Angelegenheit. Die Kirche hatte ja mit Politik damals noch gar nichts zu tun…wir wollten für die Kirche feststellen, das ist nicht recht und das darf in der Kirche nicht Recht werden.“
Deshalb habe man sich gegen die Einführung der antijüdischen Gesetzgebung in die Kirche und den staatlichen Druck gewehrt. Deshalb habe man „Nein!“ gesagt. „Das war wohl die erste contra-antisemitische Stellungnahme.“ Seine und die Schuld der Kirche beschreibt er mit den Worten: „Wir haben uns noch nicht verpflichtet gefühlt, für Leute außerhalb der Kirche irgendetwas zu sagen…so weit waren wir noch nicht, dass wir uns für unser Volk verantwortlich wussten.“ Deswegen nennt er 1976 in der spontan geführten Diskussion als Beispiele eines von ihm und der Kirche versäumten politischen Widerstandes nur politische Gegner der neuen Regierung aus NSDAP und Deutschnationaler Volkspartei.
Zu diesen knappen Zeilen ist oft zugespitzt gefragt worden, warum das „Abholen“, das „Einsperren“, die Deportation der Juden fehle. (mehr …)