Artikel

Das verdrängte Erbe der Bekennenden Kirche

Herausgegeben von Reinhard Höppner und Joachim Perels, Radius-Verlag, 177 Seiten, 16,00€

BuchcoverBK

Ein „Weckruf“ soll dieses Buch sein, das Erbe der Bekennenden Kirche nicht zu vergessen, in allen ihren Facetten, Deutungen und Umdeutungen. Die Veröffentlichung ist das Ergebnis der gleichnamigen Tagung im März 2012 in Eisenach, an der neben der Martin-Niemöller-Stiftung auch die Stiftung Adam-von-Trott und der Dietrich-Bonhoeffer-Verein beteiligt waren. Nachstehend finden Sie das Inhaltsverzeichnis und das Vorwort. 

Aus dem Inhalt:

Günther van Norden
Das Erbe der Bekennenden Kirche
Die sich verändernde Deutung des Kirchenkampfes

Hartmut Ludwig
Deutung und Umdeutung des Kirchenkampfes
Geschichtsinterpretation als Kampf um die Deutungshoheit heute

Jens Gundlach
Erhaltung durch Verleugnung?
Kontinuität restaurativer Tendenzen am Beispiel von Heinz Brunotte

Martin Stöhr
Die Schuldfrage in Kirche und Gesellschaft
Martin Niemöller – Wegweisendes und Widersprüchliches

Joachim Perels
Der heutige Protestantismus und das weltkritische Erbe der Bekennenden Kirche 

Detlef Bald
Staatstradition und Kirchenreform
Zur Geschichte von Staat, Kirche und Gesellschaft im 20. Jahrhundert

ANHANG

„Wider die gottlosen Bindungen dieser Welt“ –Rechtsradikalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Dokumentation über eine Diskussion mit Reinhard Höppner, Bodo Ramelow, Ralf Melzer, Rüdiger Bender 

Vorwort

Ein Weckruf soll diese Initiative von Bonhoeffer-Verein, Martin-Niemöller-Stiftung und Stiftung Adam von Trott sein, ein Weckruf, das Erbe der Bekennenden Kirche nicht zu vergessen, den Schatz noch einmal zu heben, den wir mit den Männern und Frauen dieses Widerstandes gegen den Zeitgeist haben. Die Überzeugung, dieser Ruf sei nötig, einte die drei Vereine, als sie im März 2012 eine Tagung diesem Thema widmeten. Den Ertrag der Beiträge einschließlich der Schlussdiskussion dieser Tagung findet man in diesem Band.

So einfach die Frage klingt, wer nicht Klischees bedienen will, muss sich der kritischen Frage stellen: Wer war eigentlich die Bekennende Kirche? Was war ihr Bekenntnis? Dieser Frage geht Günther van Norden nach. Sehr schnell wird klar, dass bereits bei der Verabschiedung der Barmer Theologischen Erklärung 1934 die Motive der Synodalen sehr unterschiedlich waren. Bei der zweiten Synode der BK in Dahlem kommt es dann praktisch schon zu einer Spaltung. Ist also das Erbe der BK nur, woran der »harte Kern« festgehalten, was er durchgetragen hat durch die Zeit?

Man staunt, wie viel heute als Kirchenkampf jener Jahre bezeichnet wird. Hartmut Ludwig beschäftigt sich mit diesen Deutungen und Umdeutungen des Kirchenkampfes, mit den Geschichtsinterpretationen als Kampf um die Deutungshoheit, die ja allzu oft auch etwas mit eigener Rechtfertigung zu tun haben, gerade auch, wenn sich Betroffene und Zeitzeugen ans Werk machen. Darum war es uns auch wichtig, konkrete Biographien in den Blick zu nehmen.

Jens Gundlach tut das, indem er sich Heinz Brunotte zuwendet, einem anfangs noch »linken«, der Bekennenden Kirche nahestehenden Theologen, der sich dann doch in einer Weise dem Status quo ergibt, wie man es über 70 Jahre danach kaum für möglich hält. Wie er nach 1945 versucht, die ganze volkskirchlich geprägte Deutsche Evangelische Kirche in eine Widerstandsbewegung gegen Hitler zu verwandeln, erscheint uns heute abenteuerlich. Andererseits hat es diese Tendenz der Umdeutung auch nach der Wiedervereinigung im Blick auf die DDR gegeben. Die Frage, wie dies möglich war. damals wie heute, bedarf der Aufklärung. Reicht es, wenn die Kirche ein bisschen gegen den Zeitgeist ist? Wird sie damit der Aufgabe des Evangeliums gerecht? Diese Frage hat an Aktualität nichts eingebüßt.

Sie ist selbst von so kantigen Persönlichkeiten wie Martin Niemöller unterschiedlich beantwortet worden. Bewusst hat Martin Stöhr dazu aus der Biographie Niemöllers nicht nur Wegweisendes, sondern auch Widersprüchliches zusammengetragen. Das ist für all diejenigen eine Lektion, die alles immer erst klar und eindeutig haben wollen, ehe sie sich äußern oder engagieren. Könnte es nicht auch ein Erbe der Bekennenden Kirche sein, darauf zu vertrauen, dass – um es mit Bonhoeffer zu sagen – Gott auch aus unseren Fehlern und vermeintlichen Guttaten noch Gutes wachsen lassen kann? Dass Klarheit und Ambivalenz sich nicht ausschließen? Dass uns manchmal gerade das Unvollkommene. Bruchstückhafte, wenn es denn dem Geist der Bibel entspringt, weiterbringt? Dann würde wohl auch das zum verdrängten Erbe gehören.

Joachim Perels erinnert an das Darmstädter Wort von 1947: »Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen und Entrechteten […] zur Sache der Christenheit zu machen.« Dieser Satz gehört noch heute in den Beichtspiegel eines Christen. Ihm geht es um den kritischen Umgang mit der Ökonomisierung der Gesellschaft. Was ist davon geblieben, zum Beispiel in dem Papier der EKD zur Zukunft der Kirche, dem »Leuchtturmpapier«, das die Effizienzkriterien der Wirtschaftsberater auf die Kirche überträgt? Was ist geblieben in den Denkschriften zur Armut oder zur Wirtschaft? In seinem Beitrag blitzt der Geist wieder auf. der Menschen wie Martin Niemöller getrieben hat.

Die längeren Linien im Blick auf das Verhältnis von Staat und Kirche macht Detlef Bald anhand der verfassungsrecht-lichen Ordnungen deutlich. Und er deckt auch den Geist auf, der die bürgerlich ausgerichtete Kirche durch alle Ordnungen begleitet hat: ein Schuss Antikommunismus – um es noch deutlicher zu machen, muss man wohl sagen: Antibolschewismus. Diesem Problem begegnet man dann auch wieder am Schluss des Buches, wenn es um die Kontinuität des nationalen Denkens und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Kirche und Gesellschaft geht. Man mag sich trefflich darüber streiten, oh das auch zum Erbe der Bekennenden Kirche gehört, denn es war ja nur der »harte Kern« der Bekennenden Kirche, der sich wirklich erkennbar gegen die Deportation und Ausrottung der Juden zu Wehr gesetzt hat. Aber ohne die Frage von Widerstand damals und Widerstehen heute ist alle Erinnerungskultur umsonst.Wie wir heute in Kirche und Gesellschaft mit Ausgrenzungen umgehen, ist nach wie vor aktuell, nicht nur nach den erschreckenden Erkenntnissen über den NSU-Terror und das Versagen der Behörden, sondern weil in erschreckender Weise rechtsextremes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft Platz gegriffen hat. Dem widmen sich vier Statements im Anhang, die aus einem Podiumsgespräch heraus entstanden sind.

Eine Frage bleibt nach der Lektüre aller Beiträge offen: Wie war das eigentlich mit dem Erbe der Bekennenden Kirche in der DDR? Ist es da auch verdrängt worden? Wie ist es unter der »Diktatur des Proletariats« wirksam geworden. Die hier vorliegenden Beiträge haben – man mag das über zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung bedauern – vor allem die alte, man möchte sagen »ehemalige« Bundesrepublik im Auge, die seit 1990 eine neue Bundesrepublik ist. Aber allen, die mit den Erfahrungen der Kirchen in der DDR nach Eisenach gekommen waren, war klar: Das ist ein anderes, neues Kapitel, das nicht so nebenbei behandelt werden kann. Die DDR ist eben nicht nur eine Fußnote der Geschichte. Wir arbeiten daran, auch dieses neue Kapitel noch aufzuschlagen. (…)