Artikel
Geschichten können Orientierung geben
Albert Schweitzer, Martin Niemöller, Dietrich Bonhoeffer, Paul Schneider: Wie können Biographien auch Jugendlichen Orientierung geben?
von Daniel Gaede
Anläßlich der Tagung „Ehrfurcht vor dem Leben. Martin Luther & Albert Schweitzer – Bekenntnisse für das Leben“ der Albert-Schweitzer-Gesellschaft e.V. hielt Daniel Gaede am 23.09.2017 in Weimar einen Vortrag, den wir hier dokumentieren
Einstieg:
Sie sind mit anderen gefangen in einem Arbeitslager, täglich sterben einige unter den unbarmherzigen Torturen der SS. Sie werden aus der Menge herausbefohlen und zu einem schwerverletzten SS-Angehörigen geführt, der im Sterben liegt. Ihn quält, dass er an der Ermordung von Menschen aller Altersstufen beteiligt war, die – als Juden für minderwertig befunden – von ihm und anderen SS-Angehörigen in ein Haus getrieben wurden, das anschließend von der Einheit in Brand gesteckt wurde – es geht in Flammen auf und wer aus den Fenstern sprang, wurde erschossen; keiner überlebte Es ist sein letzter Wunsch, dass ihm, dem SS-Angehörigen, vor seinem Tod ein Jude ans Bett geholt wird, den er um Vergebung bitten kann.
Der Mann am Bett des SS-Manns Karl hat diese Bitte nicht vergessen können und da er unsicher blieb, ob er den Wunsch nach Vergebung hätte erfüllen oder verweigern sollen, hat er die Geschichte aufgeschrieben und diese Frage lange nach Kriegsende vielen anderen gestellt. Wie würde ich, wie würden Sie antworten? Was bedeutet hier „Ehrfurcht vor dem Leben“ – ist es nicht zum Fürchten und Verrücktwerden, was da Menschen in ihrem Leben sich wie anderen antun und zumuten? Und können solche Berichte wie dieser von Simon Wiesenthal in seinem Buch „Die Sonnenblume“ Orientierung geben, auch Jugendlichen, die Gott sei Dank in anderen Zeiten leben?
Ich selbst wurde mit dieser Geschichte im April 1977 im Jerusalemer „Haus Pax“ durch Joseph Walk konfrontiert, einem überlebenden orthodoxen Juden aus Breslau; wir waren rund 15 junge westdeutsche Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, hatten zuvor noch zwei Wochen in der Volksrepublik Polen und davon die Hälfte der Zeit in der Gedenkstätte Auschwitz mit Überlebenden gesprochen und gearbeitet, bevor wir nun hier, auch durch die Begegnung mit Joseph Walk, mit den Realitäten Israels vertraut gemacht werden sollten. Er sprach mit uns deutsch, das konnte er noch sehr gut, und er wollte von uns wissen, was wir an Stelle von Simon Wiesenthal getan hätten. Auch wenn es ein Blick in einen bodenlosen Abgrund war, zu dem er uns da brachte – er wollte uns nicht zum Schweigen bringen, sondern zum gründlichen Nachdenken: Eine Einladung zum Dialog, denn es war deutlich, dass auch er die Geschichte weitererzählte, um andere und sich selbst zu einem tieferen Verständnis dessen zu bringen, was hier mit „Holocaust“ und in Israel mit „Shoah“, „die Katastrophe“ umschrieben wird. Und es ging ihm nicht primär um Geschichte, sondern um Verständnis für die Hintergründe eines israelischen Alltags, der neue Konflikte barg und von alten Traumata durchzogen war.
Ich habe weder diese Geschichte, noch diese Situation noch Joseph Walk je vergessen – vielleicht ein erstes Beispiel dafür, wie Jugendlichen mit Biographien Orientierung gegeben werden kann. (mehr …)
Martin Niemöller – ein Prophet des Friedens
von Walter Jens
Walter Jens’ Rede zum 100. Geburtstag von Martin Niemöller im Hessischen Landtag 1991 ist ein literarisches Portrait dieses „Propheten des Friedens“, von dessen Geradlinigkeit für Gerechtigkeit und Frieden wir heute noch lernen können.
„Vormittags an der Preface zu Niemöllers Predigten. Mittags zum N.B.C. Lesung der deutschen Sendung. Ärger über zweimaliges Versprechen. Nach dem Lunch die .Nation‘ gelesen.“ Die Notizen Thomas Manns, formuliert in Pacific Palisades, am 29. Juli 1941, klingen nüchtern, fast beiläufig. Ein Allerweltsgeschäft ist zu leisten und, nach verläßlichem Studium der Texte, in einer Wochenhälfte zu beenden: „Vormittags an der Einleitung zu den Predigten“, „vormittags die Einleitung zu den Predigten abgeschlossen“, und dann, der Leser spürt das Aufatmen:
Das für drei Tage, mit einem raschen Blick von Kalifornien ins ferne Deutschland, unterbrochene Hauptgeschäft nimmt seinen Fortgang. Eine Pflichtübung also, das rasche Exerzitium eines Moralisten, der weiß, was die „Forderung des Tages“ gebietet? Keineswegs. Der Duktus des knappen Essays, der im gleichen Jahr, anno 1941, als Einleitung zu „Martin Niemöller – God is my Führer. Being the Last Twenty-Eight Sermons“ in der Philosophical Library and Alliance Book Corporation erscheinen wird, zeugt nicht nur von respektvoller Zuneigung gegenüber einem Fürsprecher des „anderen Deutschland“: Er ist, wie Thomas Manns Interpretation der Studie bald darauf nachdrücklich hervorhebt, „von ehrlicher Bewunderung eingegeben für die gehorsame Zeugenschaft eines Geistlichen und Kirchenmannes, mit dessen Geistesform die meine sonst wenig gemein hat“. Der Gegenstand meines kleinen Aufsatzes „brachte es mit sich, daß das Politische darin einmal offen die Sprache der Religion redet – mit Recht; denn aller letzter Ernst des Menschen ist Religion“. … aller letzter Ernst des Menschen: Es ist bewegend zu sehen, wie ein imaginäres Gespräch zwischen zwei Deutschen, ein Geisterdialog über Länder und Meere, den souveränen Skeptiker von Pacific Palisades Worte finden läßt, die er, in ihrer aller Ironie und spielerischen Verfremdung unzugänglichen Eindeutigkeit, sonst eher vermied. Jetzt aber, auf einmal, die apodiktische Formel, in der das Ästhetische „so und auch anders“ hinübergeht ins metaphysische „Dieses ist wahr“. Warum? Weil, das zeigt die Vorrede im Band von Niemöllers Predigten, Lektüre zu unmittelbarer Partizipation, gelassenes Zurkenntnisnehmen (mit dem Bleistift in der Hand) zu erregender Herausforderung geworden war: Während Thomas Mann las, was 1937, in Martin Niemöllers letzter Dahlemer Predigt, unter dem Leitwort „Israel hat dennoch Gott zum Trost“ von der Kanzel verkündigt worden war – während er, aus dem Abstand von vier Jahren, die Sätze zu erwägen hatte: „Ich denke daran, wie am Mittwoch die Geheime Polizei in die verschlossene Friedrichwerdersche Kirche eindrang und im Altarraum acht Mitglieder des dort versammelten Reichsbruderrats festnahm und abführte; ich denke daran, wie gestern in Saarbrücken sechs Frauen und ein männliches Gemeindemitglied verhaftet worden sind, weil sie ein Wahlflugblatt der Bekennenden Kirche auf Anweisung des Bruderrats verbreiteten. Ich sage: Wer das weiß und wer das wirklich mit durchleidet, der ist nicht mehr weit von jenem Wort des Propheten, der spräche am liebsten auch: ,Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele'“ … während Thomas Mann, stellen wir uns vor, diese Sätze eines Predigers las, die so wenig mit der behaglichen Diktion der „Buddenbrooks“-Pastoren gemein hatten: aber viel mit der Zeugen-Rede der Reformatoren, da wurde Gestern plötzlich zum Heute, Berlin war näher als Los Angeles, und der ein paar Jahre später, im „Doktor Faustus“, beschriebene Gegensatz zwischen Goethes Deutschland und dem Reich der Finsternis sah sich durch die Antithese zwischen dem Zeugen Jesu Christi Martin Niemöller und jenem Gegenspieler antizipiert, Adolf Hitler, der – weit über alles zuvor Beschriebene hinaus! – von Thomas Mann zum ersten Mal als das fleischgewordene Böse – eine Ausgeburt der untersten Hölle! – apostrophiert wird, der seinen Feinden nicht einmal den Gnadentod gönne: „Lebenslange Folterqual, körperliche Erniedrigung und Schändung, die Berechnung ihrer Persönlichkeit, die Umdrehung ihrer Gehirne, der Wahnsinn, die bettelnde Verblödung – das ist es, was er über sie verhängt, woran sein so teuflisches wie blödes Herz sich ergötzt.“
Martin Niemöller – Streiten für den Menschen
von Martin Stöhr
Anlässlich des 70. Jahrestags der Verhaftung Martin Niemöllers in Dahlem hielt Martin Stöhr am 29. Juni 2007 im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst im Rahmen der Reihe „Forum Wissenschaft“ einen Vortrag, den wir nachstehend dokumentieren.
Gewissen und Verantwortung
In meinem letzten Semester an der Universität Siegen fragt mich ein Student: „Sie erwähnten den Namen Martin Niemöller. Entschuldigen Sie bitte: Wer war das?“ Es ist gut, dass gefragt wird, denn: Wer kein Gedächtnis mehr hat, verliert die Orientierung – und zwar für die Gegenwart, erst recht für die Zukunft. Solche – in diesem Fall – selbst produzierte Demenz eröffnet Gleichgültigkeit oder Nationalismus, Feindbildern oder Duckmäusertum neue Chancen, weil die vergessen werden, die gegen den Strom zu schwimmen lernten.
Ein Film über Martin Niemöller setzt als Titel über dieses protestantische Leben eine beunruhigende Frage: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Den Satz lernt der kleine Junge im Haus eines Textilarbeiters kennen. Er gehört zu den proletarischen Heimarbeitern der Elberfelder Industrie, in der der Unternehmer Friedrich Engels sein großes Geld – auch zur Unterstützung seines Freundes Karl Marx – verdient. Der Satz stammt aus jener pietistischen Tradition des Protestantismus, die damals mehr auf „praxis pietatis“ setzt als auf doktrinärem Christentum bestand. Friedrich Engels schrieb typische Jugendgedichte dieser, dem Nächsten zugewandten, individuellen Frömmigkeit. Bei einem Krankenbesuch mit seinem Vater liest der Junge diese Frage – in Glasperlen auf Samt gestickt. Es ist eine Frage, kein Standpunkt, die für das alltägliche Handeln nach einem ethischen Maßstab sucht. Die Antworten von gestern sind zu überprüfen und nicht einfach zu wiederholen. Ein lebenslanges Gespräch und Lernen über Ziele und Schritte des Lebensweges wird so begonnen. Wie mit einem Kompass, dessen zitternde Nadel immer neu den Weg des Gewissens sucht und sich dabei an einem festen Punkt, genauer an einem Menschen, Jesus, orientiert. (mehr …)
Nachtfahrt ins Wuppertal
von Matthias Schreiber
Dr. Matthias Schreiber, Autor der rowohlt-Bildmonographie über Niemöller, berichtet von einer ungewöhnlichen Begebenheit.
Die Geheime Staatspolizei hatte strenge Geheimhaltung befohlen. Sein Haus wurde überwacht, das Telefon war gesperrt. Nachbarn ließ man nicht durch. Der alte, im Sterben liegende Wuppertaler Pfarrer war abgeschirmt. Als die SS vorfuhr, brach die Dämmerung bereits herein.
Die Nazis liebten die Dunkelheit. Aber anders als sonst holten sie diesmal niemanden ab. Sie brachten jemanden. Den Sohn des Sterbenden hatten sie Hunderte von Kilometern aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen her transportiert. Sie hatten ihn durch Deutschlands Nacht ins Rheinland gefahren, damit er seinen Vater ein letztes Mal sehen konnte. Pastor Martin Niemöller hieß der Gefangene. Sein damaliger Titel: „Persönlicher Gefangener des Führers“. (mehr …)
„Wie aufrecht kann ein Mensch gehen?“ – Zum 25. Todestag von Martin Niemöller
von Jürgen Rüttgers
Foto: Das Grab Martin Niemöllers in Wersen
Anläßlich des Gedenkgottesdienstes zum 25. Todestag Martin Niemöllers hielt Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in der Stadtkirche von Westerkappeln am 25.03.2009 eine mit viel Beifall honorierte Ansprache. Die Predigt hielt Alfred Buß, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Wir dokumentieren mit freundlicher Erlaubnis beide Texte.
Wie aufrecht kann ein Mensch gehen?
I.
Wie aufrecht kann ein Mensch gehen?
Als Martin Niemöller im Kreise weiterer Bischöfe 1934 in der Reichskanzlei empfangen wurde, da sagte Hitler:
„Kümmern Sie sich um die Kirche.Ich kümmere mich um das Volk.“
Das war keine Begrüßung. Das war eine Drohung.
Niemöller hat das sofort verstanden. Das beweist seine Antwort. „Die Sorge um die Kirche ist die Sorge um das Volk“ hat er sinngemäß darauf erwidert.
Wie aufrecht kann ein Mensch gehen? (mehr …)
„Zu spät, zu unpolitisch, zu wenig“
Zur Debatte um Niemöller und die „Nazi-Zigarren“ (2007)
Aktuelle Veröffentlichungen um Martin Niemöller und die Einstellung des Nazi-Ideologen Matthes Ziegler in den Dienst der Landeskirche sorgen im Moment für Diskussionsstoff. In mehreren Kirchenzeitungen und in der Frankfurter Rundschau vom 19.1.07 erschien dazu ein epd-Artikel von Wolfgang Weissgerber. Er bezieht sich auf den Artikel von Manfred Gailus „Vom ,gottgläubigen‘ Kirchenkämpfer Rosenbergs zum ,christgläubigen‘ Pfarrer Niemöllers“ (erschienen in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Heft 11/2006, Metropol-Verlag, Berlin), erweitert ihn aber um eigene Spekulationen um die Person Niemöllers, die zum Widerspruch herausfordern. Wir dokumentieren den Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 19.01.07 und die Erwiderung von Martin Stöhr.
„…habe ich geschwiegen“ – Zur Frage eines Antisemitismus bei Martin Niemöller
von Martin Stöhr
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Dieser Text ist in unzähligen in- und ausländischen Schulbüchern und Gedenkreden verbreitet worden. Zu Recht. Es benennt selbstkritisch eine Haltung, die exemplarisch nach dem Schuldigwerden am Anfang von Unrecht und Gewalt fragt. Varianten fügten in die Liste mal die Katholiken, mal die Juden, mal die Homosexuellen ein. Nach dem Anlass und dem Inhalt dieser verdichteten Position befragt, erklärte Martin Niemöller später im Gespräch mit Hannes Karnick und Wolfgang Richter (zit. nach: „Niemöller – Was würde Jesus dazu sagen?“, Ffm 1986)
„Das war kein Gedicht, nein, ich hatte mal in (Hans-Joachims) Oefflers Gemeinde (in Kaiserslautern-Siegelbach Ostern 1976) gepredigt…Da hatten wir hinterher eine Besprechung in einem Gemeindesaal…Da haben die Leute….vom Leder gezogen. Und dann haben sie gefragt, ob wir denn nicht aufgewacht wären nach der ‚Kristallnacht’ 1938. Und ich sage, um Gottes Willen, also fragen Sie mich nicht nach 38, ich bin 37 in die Gefangenschaft gekommen.“ Er verweist darauf, dass nach dem Reichstagsbrand und dem. „Ermächtigungsgesetz“ (23.3.1933) „erst mal die Kommunisten eingesperrt“ wurden. Die „waren ja keine Freunde der Kirche, im Gegenteil, und deshalb haben wir damals geschwiegen…. Es gab keine Niederschrift oder Kopie von dem was ich gesagt hatte, und es kann durchaus gewesen sein, dass ich das anders formuliert habe. Aber die Idee war jedenfalls: Die Kommunisten, das haben wir ruhig passieren lassen; und die Gewerkschaften, das haben wir auch noch passieren lassen; und die Sozialdemokraten haben wir auch noch passieren lassen. Das war alles nicht unsere Angelegenheit. Die Kirche hatte ja mit Politik damals noch gar nichts zu tun…wir wollten für die Kirche feststellen, das ist nicht recht und das darf in der Kirche nicht Recht werden.“
Deshalb habe man sich gegen die Einführung der antijüdischen Gesetzgebung in die Kirche und den staatlichen Druck gewehrt. Deshalb habe man „Nein!“ gesagt. „Das war wohl die erste contra-antisemitische Stellungnahme.“ Seine und die Schuld der Kirche beschreibt er mit den Worten: „Wir haben uns noch nicht verpflichtet gefühlt, für Leute außerhalb der Kirche irgendetwas zu sagen…so weit waren wir noch nicht, dass wir uns für unser Volk verantwortlich wussten.“ Deswegen nennt er 1976 in der spontan geführten Diskussion als Beispiele eines von ihm und der Kirche versäumten politischen Widerstandes nur politische Gegner der neuen Regierung aus NSDAP und Deutschnationaler Volkspartei.
Zu diesen knappen Zeilen ist oft zugespitzt gefragt worden, warum das „Abholen“, das „Einsperren“, die Deportation der Juden fehle. (mehr …)
„Weil das Wort so wichtig dort war“ – Martin Niemöllers Dahlemer Predigten
von Heinz Hermann Niemöller
Foto: Dr. Heinz Hermann Niemöller bei der Übergabe von Barbara Loewenbergs Niederschriften an Kirchenpräsident Dr. Peter Steinacker
Die „Dahlemer Predigten“ Martin Niemöllers haben als mutige, glaubwürdige und theologisch fundierte Zeugnisse der seelsorgerlichen Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur eine weltweite Resonanz gefunden. Damals saß eine junge Frau unter Niemöller Kanzels und stenografierte wie etliche andere auch die Predigten mit. Aus den Stenogrammen und Mitschriften entstanden dann die ausformulierten Predigttexte, die unter dem Namen „Dahlemer Predigten“ bekannt wurden. Die junge Frau, Barbara Loewenberg, musste als Tochter eines evangelischen Christen jüdischer Herkunft emigrieren. Sie nahm die Texte mit und brachte sie ins Ausland in Sicherheit. Die Texte der Dahlemer Predigten übergab die junge Frau nach dem Krieg Dr. Heinz Herrmann Niemöller. Am 13. Oktober 2005 übergab dieser sie im Rahmen einer Gedenkfeier der Kirchenleitung der EKHN zur dauerhaften Verwahrung im Zentralarchiv. Im Rahmen der Gedenkfeier wurde auch eine Ausstellung gezeigt, die sich dem Leben der mutigen jungen Frau, Barbara Loewenstein, widmet. Wir dokumentieren die Begrüßungsrede von Dr. Heinz Hermann Niemöller: (mehr …)
„Die leise Hoffnung….“ – Predigt über Mt. 12,38 – 42
von Martin Stöhr
Am 7. März 2004 predigte Martin Stöhr anlässlich des 20. Todestags Martin Niemöllers in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau
„Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu Jesus: Meister (Rabbi), wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin von Saba wird auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“
Die Geschichte, die Matthäus erzählt, ist eine der unzähligen Geschichten im NT, die von einer heftigen Debatte berichten – hier: zwischen Jesus und den Pharisäern und Schriftgelehrten. Sie reden ihn an mit „Rabbi“. Er ist einer der ihren, erörtert die alte Schrift als Gottes Wort, das für heute etwas zu sagen hat. Gemeinsam ist den Streitenden: Man hat eine gemeinsame Quelle, aus der man schöpft. Man nimmt die Tradition ernst als gesammelte Weisheit vergangener Generationen – nicht um sie konservativ zu konservieren, sondern um die darin steckende Weisheit progressiv für eine menschlichere Zukunft in unserer Gegenwart zu servieren und damit den jeweils heute lebenden Menschen zu dienen. (mehr …)