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Martin Niemöller – Streiten für den Menschen

von Martin Stöhr

Anlässlich des 70. Jahrestags der Verhaftung Martin Niemöllers in Dahlem hielt Martin Stöhr am 29. Juni 2007 im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst im Rahmen der Reihe „Forum Wissenschaft“ einen Vortrag, den wir nachstehend dokumentieren. 

Gewissen und Verantwortung

In meinem letzten Semester an der Universität Siegen fragt mich ein Student: „Sie erwähnten den Namen Martin Niemöller. Entschuldigen Sie bitte: Wer war das?“ Es ist gut, dass gefragt wird, denn: Wer kein Gedächtnis mehr hat, verliert die Orientierung – und zwar für die Gegenwart, erst recht für die Zukunft. Solche – in diesem Fall – selbst produzierte Demenz eröffnet Gleichgültigkeit oder Nationalismus, Feindbildern oder Duckmäusertum neue Chancen, weil die vergessen werden, die gegen den Strom zu schwimmen lernten.

Ein Film über Martin Niemöller setzt als Titel über dieses protestantische Leben eine beunruhigende Frage: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Den Satz lernt der kleine Junge im Haus eines Textilarbeiters kennen. Er gehört zu den proletarischen Heimarbeitern der Elberfelder Industrie, in der der Unternehmer Friedrich Engels sein großes Geld – auch zur Unterstützung seines Freundes Karl Marx – verdient. Der Satz stammt aus jener pietistischen Tradition des Protestantismus, die damals mehr auf „praxis pietatis“ setzt als auf doktrinärem Christentum bestand. Friedrich Engels schrieb typische Jugendgedichte dieser, dem Nächsten zugewandten, individuellen Frömmigkeit. Bei einem Krankenbesuch mit seinem Vater liest der Junge diese Frage – in Glasperlen auf Samt gestickt. Es ist eine Frage, kein Standpunkt, die für das alltägliche Handeln nach einem ethischen Maßstab sucht. Die Antworten von gestern sind zu überprüfen und nicht einfach zu wiederholen. Ein lebenslanges Gespräch und Lernen über Ziele und Schritte des Lebensweges wird so begonnen. Wie mit einem Kompass, dessen zitternde Nadel immer neu den Weg des Gewissens sucht und sich dabei an einem festen Punkt, genauer an einem Menschen, Jesus, orientiert. (mehr …)

Martin Niemöller: Stationen


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Stationen aus dem Leben Martin Niemöllers

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Was sagte Niemöller wirklich?

NiemollerQuoteMonmouthNJ580pxwWir zitieren die Version, die wir für die „klassische“ halten und die von Niemöller autorisiert wurde. Sie fiel  an Ostern 1976 während einer Diskussion im Gemeindesaal Kaiserslautern -Siegelbach bei Pfarrer Hans-Joachim Oeffler. In einem Gespräch mit Hannes Karnick und Wolfgang Richter („Niemöller – Was würde Jesus dazu sagen?“, Ffm 1986) führt Niemöller dazu aus:

„Wann ist denn dieses Ge­dicht entstanden mit dem Spruch: Als sie die Kommu­nisten abholten, schwiegen wir…?

Das war kein Gedicht, nein. Ich hatte mal in Oefflers Ge­meinde gepredigt, da war damals der Generalbischof der lutherisch-slowakischen Kirche dabei in Siegelbach bei Kaiserslautern. Da hat­ten wir hinterher eine Be­sprechung mit der Gemein­de in einem Gemeindesaal in der unmittelbaren Nähe der Kirche. Da haben die Leute n ihre Fragen ge­stellt und vom Leder gezo­gen. Und dann haben sie gefragt, ob wir denn nicht aufgewacht wären nach der Kristallnacht 1938. Und ich sage, um Gottes Willen, also fragen Sie mich nicht nach 38, ich bin 37 in die Gefangenschaft geraten und habe seitdem immer in der Einzelzelle gesessen und im übrigen, sehen Sie, als die erst mal die Kommu­nisten eingesperrt, und da­von haben wir vielleicht gleich was gehört, ich weiß es nicht mehr, aber wir haben dagegen nicht aufbe­gehrt, dass die Kommunisten eingesperrt wurden, denn wir lebten ja für die Kirche und in der Kirche und die Kommunisten waren ja kei­ne Freunde der Kirche, son­dern im Gegenteil ihre er­klärten Feinde, und deshalb haben wir damals geschwie­gen. Und dann kamen die Gewerkschaften, und die Gewerkschaften waren auch keine Freunde der Kir­che, und wir haben mit de­nen wenig Beziehungen oder gar keine mehr gehabt und haben gesagt, also lass die ihre Sachen selber aus­fechten.
Es gab keine Nieder­schrift oder Kopie von dem, was ich gesagt hatte, und es kann durchaus gewesen sein, dass ich das anders for­muliert habe. Aber die Idee war jedenfalls: Die Kommu­nisten, das haben wir noch ruhig passieren lassen; und die Gewerkschaften, das haben wir auch noch pas­sieren lassen; und die Sozialdemokraten haben wir auch noch passieren las­sen. Das war ja alles nicht unsere Angelegenheit. Die Kirche hatte ja mit Politik damals noch gar nichts zu tun, und man sollte ja damit nichts zu tun haben. Wir wollten in der Bekennenden Kirche an und für sich ja auch keinen politischen Wider­stand darstellen, sondern wir wollten für die Kirche feststellen, das ist nicht recht und das darf in der Kirche nicht Recht werden, deshalb hatten wir schon 33, als wir den Pfarrernot­bund gründeten, als 4. Punkt da drin: Wenn gegen Pfarrer Front gemacht wird und sie einfach ausgeboo­tet werden als Pastoren, weil sie Judenstämmlinge oder so was gewesen sind, dann können wir als Kirche nur sagen: Nein. Und das war dann der 4. Punkt in der Verpflichtung, und das war wohl die erste contra-anti-semitische Lautwerdung aus der Evangelischen Kir­che. Das ist nur das, was ich sagen kann zu dieser Geschichte mit dem: Als sie die Kommunisten einsperr­ten, da hat man nichts ge­sagt, wir waren keine Kom­munisten und waren durch­aus einverstanden, dass wir diese Gegner vom Halse hatten. Aber wir haben uns noch nicht verpflichtet ge­sehen, für Leute außerhalb der Kirche irgendetwas zu sagen, das war damals noch nicht Mode, und so weit waren wir noch nicht, dass wir uns für unser Volk verantwortlich wussten.“ 
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„Als die Nazis die Kommunisten holten…..“

Viel zitiert, oft abgewandelt, manchmal missbraucht, immer noch aktuell:
das berühmte Zitat Martin Niemöllers

 

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

Vom Mut, ein anderer zu werden

niemöller

Niemöller1960Er wagte es, Adolf Hitler zu widersprechen – und nahm dafür Jahre im KZ in Kauf. Er war vordem U-Boot-Kommandant der Kaiserlichen Marine, während der Weimarer Republik führte er eine Freikorps-Truppe. Er studierte Theologie und missachtete als Pfarrer in Dahlem das gegen ihn verhängte Predigtverbot, gründete statt dessen den Pfarrernotbund.

Nach der Befreiung wurde Martin Niemöller zum Kirchenpräsidenten in Hessen-Nassau gewählt. Als Leiter des kirchlichen Außenamts bereiste er viele Länder und war glaubwürdiger Botschafter des „Anderen Deutschland“, forderte hellsichtig Gerechtigkeit für die so genannte „Dritte Welt“, plädierte unermüdlich für die Versöhnung von Ost und West. Zuhause wurde er geehrt und bewundert, aber auch mit Schmähungen überhäuft: weil er den Leninorden angenommen hatte; weil er es wagte, Soldaten und Militär Verbrecher zu nennen. Rastlos und beharrlich setzte er sich für den  Frieden, gegen die Aufrüstung, gegen die Wiederbewaffnung und den Irrwitz des Kalten Krieges ein.

Die Widersprüche in seiner Biographie sah er selbst so: „Dass ich meine Überzeugung in meinem Leben geändert habe, ich glaube, nicht aus Charakterlosigkeit, sondern weil ich dazugelernt habe -, dessen schäme ich mich nicht … Wir sollten darauf hoffen, dass auch die Leute, die uns augenblicklich führen, noch dazulernen können…“

Martin Niemöller war bei den Ostermärschen dabei, sprach auf der großen Vietnamkriegs-Demo in Bonn 1973, war Ehrenpräsident der Deutschen Friedensgesellschaft.

Martin Niemöller starb am 6. März 1984 in Wiesbaden