Solidarität, Bereitschaft zum Dialog, Abbau von Feindbildern –
die Martin-Niemöller-Stiftung führt das friedenspolitische Engagement ihres Namensgebers fort.

Ihre Arbeit begründet sich allein in der Einsicht:
Wir brauchen eine zivile, demokratische und human gestaltete – eine solidarische Welt.

über die Stiftung

Artikel

Festival „Gegensignal“ vom 16. bis 17. September in Potsdam

Das Potsdamer Glockenspiel ist die Nachbildung des historischen Carillons der Garnisonkirche. ©Wikimedia/CC BY 3.0/Bohao Zhao
Das Potsdamer Glockenspiel ist die Nachbildung des historischen Carillons der Garnisonkirche. ©Wikimedia/CC BY 3.0/Bohao Zhao

Vier Jahre nach seiner Stilllegung steht das stets umstrittene nachgebaute Glockenspiel der Garnisonkirche Potsdam am 16. und 17. September 2023 im Zentrum eines Kurzfestivals. Auf dem Programm stehen Klang-Geschichten, eine öffentliche Inszenierung und ein Workshop mit Disussion zur Zukunft des Glockenspiels. Veranstaltet wird das Festival vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V. und dem Lernort Garnisonkirche.

Als wichtiger Teil der Veranstaltung werden vier namhafte Intellektuelle aus Polen, Ukraine, Russland und Namibia darauf zurückblicken, wie sich preußisch-deutsche Militärgewalt in die Geschichte Ihrer Länder eingeschrieben hat und wie sie die heutige deutsche Erinnerungskultur zu Preußen wahrnehmen. Nach kurzen Auftritten in der Konzertperformance am Samstag werden sie während des Symposions am Sonntag jeweils eine Rede halten und mit dem Publikum und miteinander diskutieren.
Es sprechen:

  • Jan Tomasz Gross, Historiker und Soziologe, Polen/ Berlin, Prof. emeritus der Princeton University/USA
  • Esther Muinjangue, Vizeministerin für Gesundheit und Soziale Dienste, ehemalige Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation, Namibia
  • Kateryna Mishchenko, Autorin und Verlegerin, Ukraine/Berlin
  • Sergey Lebedev, Schriftsteller, Russland/Potsdam

Das Festival beginnt am Samstag um 16.30 Uhr mit einer multimedialen Lecture-Performance von Michael Schenk im Filmmuseum Potsdam.

Der Künstler Andreas Siekmann gestaltete das Visual für die Konzertinstallation „Den Marsch blasen“
Der Künstler Andreas Siekmann gestaltete das Visual für die Konzertinstallation „Den Marsch blasen“.

Es folgt ab 19.30 Uhr auf der Plantage die Uraufführung von „DEN MARSCH BLASEN. Eine psychogeographische Situation am Glockenspiel auf der Plantage“ des Komponisten Christian von Borries. Auf der Potsdamer Plantage, Standort des Glockenspiels unweit der Garnisonkirche, erklingt nicht mehr das untertänige Lied „Üb immer treu und Redlichkeit“, sondern „Den Marsch Blasen“ des Komponisten Christian von Borries. Die Auftragskomposition bringt die verdrängten rechtslastigen und militärischen Botschaften des Glockenspiels akustisch wie szenografisch zum Vorschein, und gibt zugleich den Opfern der einstigen preußisch-deutschen Militärgewalt eine Stimme. Gerahmt wird die Aufführung von diskursiven Beiträgen: Eine akustisch-visuelle Lecture-Perfomance des Klangkünstlers Michael Schenk im Filmmuseum Potsdam zur Geschichte des Glockenspiels und ein anschließender Workshop im Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum zur Zukunft des Glockenspiels auf der Plantage.

Am Sonntag findet ab 10 Uhr im Rechenzentrum ein Symposion und Workshop statt. Während vormittags von 10 Uhr bis 13 Uhr die Nachkommen der Adressaten preußisch – deutscher Militärgewalt zu Wort kommen, findet nachmittags eine Fishbowl-Diskussion zur Zukunft des Glockenspiels auf der Plantage statt.

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Else Niemöller-Ausstellung eröffnet

Präses Dr. Birgit Pfeiffer
Präses Dr. Birgit Pfeiffer

Am 13. August wurde die Wanderausstellung „Else Niemöller. Ihren Platz in der Welt finden.“ von Dr. Birgit Pfeiffer, Präses der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in der Lutherkirche Wiesbaden eröffnet. Für die Gemeinde und das Dekanat Wiesbaden begrüßte Pfarrerin Ursula Kuhn die Gäste. Zu Leben, Werk und Wirkung von Else Niemöller sprach Jeanette Toussaint, Kuratorin der Ausstellung.

In ihrer Begrüßungsrede betonte die Präses die besondere Bedeutung von Else Niemöller für die Bekennende Kirche, für die Friedensbewegung und für die EKHN. „’Ihren Platz in der Welt finden‘ lautet der Titel der Ausstellung. Ich bin mir sicher, Else Niemöller hatte ihren Platz in ihrer Welt schon gefunden in der vielfältigen Art und Weise, die sie gewirkt hat: als Ideengeberin und Beraterin für ihren Mann, als Vermittlerin in den langen Jahren seiner Inhaftierung, als Managerin einer großen Familie, als Pfarrfrau mit vielen sozialen Aufgaben, als Geschäftsführerin für CARE in Deutschland, endlich und spät als Rednerin und Theologin“, betonte Birgit Pfeiffer.

Würdigung einer bedeutenden Frau

Else Niemöller sei nicht nur „die Frau eines be­deutenden Mannes“, sondern Martin und Else Niemöller seien von Anfang an ein Team gewesen. „Ich sehe Else Niemöller somit als ’necessaria comes‘ als notwendige Gefährtin, wie es so manche Frauen in vielen Jahrhunderten für viele bedeutende Männer waren. Möge Else Niemöller mit dieser Ausstellung aus dem Schatten ihres Mannes und unserer Erinnerungen heraustreten und end­lich die ihr zustehende Würdigung und Anerkennung erhalten.“

Pfarrerin Ursula Kuhn Wiesbaden
Pfarrerin Ursula Kuhn

Pfarrerin Ursula Kuhn erinnerte daran, dass das Ehepaar Niemöller in der zur Gemeinde gehörenden Brentanostraße lebte, heute Sitz des Beauftragten der ev. Kirche bei der Hessischen Landesregierung. Zeitzeuge Manfred Kühn, Pfarrer im Ruhestand, war bei der Trauerfeier Else Niemöllers und Dora Schulz‘ 1961 und erinnerte sich an die Trauer um die beiden Freundinnen. Gerd Bauz von der Martin-Niemöller-Stiftung regte an, das Haus in Wiesbaden in „Niemöller-Haus“  und auch eine Straße – in „Else- und Martin-Niemöller-Straße“ umzubenennen.

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Europas Grenzen töten

Ausgegrenzt und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt: Migrant:innen an der EU-Außengrenze. (Foto: Sandor Csudai, flickr, CC-BY SA 2.0)
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt: Migrant:innen an der EU-Außengrenze. (Foto: Sandor Csudai, flickr, CC-BY SA 2.0)

Die Martin-Niemöller-Stiftung verurteilt die Absichtserklärung zwischen Tunesien und der EU zur Fluchtabwehr aufs Schärfste. Menschenrechte werden verraten und buchstäblich verkauft – mit keinem Wort werden die rechtswidrigen Massenabschiebungen durch tunesische Behörden und die massive Gewalt gegen Flüchtlinge und Migrant*innen erwähnt.

Tunesien ist entgegen der deutschen Einstufung als sicherer Staat für Flüchtende mitnichten sicher. Das Land duldet und fördert seit Monaten pogromartige Vertreibung und organisierte Deportation von bis zu tausend Menschen an die libysche und algerische Grenze ohne Nahrung und Wasser. Dort sind die Menschen in einer Falle gefangen zwischen libyschen/algerischen und auch tunesischen bewaffneten Kräften und versperrten Fluchtwegen. Sie erleiden schwere bis schwerste Gewalt bis hin zu Tötungen, Beschuss durch Grenzkräfte, Folter, Vergewaltigung, Verdursten lassen.

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Ihren Platz in der Welt finden: Else Niemöller

Wanderausstellung der Martin-Niemöller-Stiftung kostenfrei zum Ausleihen

2023-05-24_Flyer_E-Niemoeller_DINlang_98x210mm_VS_webElse Niemöller (1890 bis 1961) war Lehrerin, Mutter, Pfarrfrau und Friedensaktivistin. Ihrem international bekannten Ehemann Martin Niemöller – wegen seines Wirkens in der Bekennenden Kirche acht Jahre Hitlers persönlicher Gefangener – stand sie als Ratgeberin und Kritikerin zur Seite.

Mit ihrem umfassenden theologischen Wissen hielt sie ihn vom Übertritt zum katholischen Glauben ab, den er während seiner KZ-Haft erwog. Gemeinsam ging das Paar den Weg vom antidemokratischen Handeln hin zum entschiedenen Eintreten für Frieden und Völkerverständigung nach dem Krieg.

In neun Kapiteln rückt die Ausstellung Else Niemöllers Leben in den Mittelpunkt und zeigt sie als eigenständige Persönlichkeit und ebenbürtige Partnerin Martin Niemöllers.

Ausstellung und Ausleihe

Die Ausstellung rückt anschaulich Else Niemöllers Leben in den Mittelpunkt und zeigt sie als eigenständige Persönlichkeit und ebenbürtige Partnerin von Martin Niemöller.

Die Ausstellung umfasst 10 Rollups (200 x 85 cm) und eine Vitrine (B x T x H 100 x 50 x 80 cm).

Ein 60-seitiges Begleitbuch kann zum Verkauf mitgeliefert werden.

Für Ihre Werbung erhalten Sie Druckvorlagen für ein A3-Plakat und einen A4-Flyer im PDF-Format, in die Sie Ihre Daten eintragen können.

Die Ausleihe ist kostenfrei. Über eine Spende freuen wir uns!

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Jetzt ist die Zeit für Frieden

Die Martin-Niemöller-Stiftung auf dem Kirchentag in Nürnberg 2023

Frieden schaffen ohne Waffen - Diskussionen am Stand der Martin Niemöller-Stiftung auf dem Markt der Möglichkeiten.
Frieden schaffen ohne Waffen – Gespräche am Stand der Martin-Niemöller-Stiftung auf dem Markt der Möglichkeiten.

Mit vielen Besucherinnen und Besuchern des Kirchentages wurde am Stand der Martin-Niemöller-Stiftung auf dem Markt der Möglichkeiten kontrovers über Wege des Friedens diskutiert und gerungen: „Welche andere Möglichkeiten statt Waffenlieferungen gibt es, die Ukraine und ihre Menschen zu schützen?“

Mit ihrem Anliegen, mit friedlichen Wegen aus dem Krieg zu finden, traf die Martin-Niemöller-Stiftung ein Thema der Zeit, das nur wenig Berücksichtung in den Podien und Veranstaltungen des Kirchentages fand. Zurück aus Nürnberg sagte der Vorsitzende der Stiftung, Propst a.D. Michael Karg: „Dass nach alternativen Auswegen aus dem Krieg noch nicht einmal Ausschau gehalten wurde, hat mich tief enttäuscht, aber gleichzeitig auch deutlich gemacht, wie wichtig das Engagement unserer Stiftung ist“.

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„Lasst uns nicht in die Irre gehen!“ *

Martin-Niemöller-Stiftung kritisiert: Der Ev. Kirchentag in Nürnberg ist friedensethisch vorfestgelegt.

Kurz vor dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg (7.-11. Juni 2023) übt die Martin-Niemöller-Stiftung deutliche Kritik am Vorgehen des Kirchentages.

„Ein ernsthafter Dialog mit den auf zivile und gemeinsame Sicherheitspolitik orientierten Christinnen und Christen sei im Programm des Kirchentages nicht wirklich vorgesehen“, kritisiert Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung, Wiesbaden. Friedenpolitische Veranstaltungen, so mit Margot Käßmann, Konstantin Wecker und Clemens Bittlinger, wurden im Vorfeld abgelehnt.

Kritik übt die Martin-Niemöller-Stiftung auch an der Haltung von Kirchentagspräsident Thomas de Maizière. Mit seiner Predigtaussage am KirchentagsSonntag: Panzerlieferungen an die Ukraine seien notwendig und dass ein auf den ersten Blick naheliegendes und scheinbar einfaches moralisches „Nein“ ebenfalls bittere ethische und brutale politische Konsequenzen mit sich bringe**, habe er den Dialog beendet, bevor er beginnen konnte. Kirchentage aber lebten vom ergebnisoffenen, gemeinsamen und kontroversen Ringen um Wege zum Frieden.

Weiterhin bedauert die Stiftung, dass eine Nakba-Ausstellung als Beitrag zum 75. Jahrestags der Gründung des Staates Israel von der Kirchentagsleitung nicht zugelassen wurde. „Wir fragen uns: Ist der Kirchentag noch der richtige Ort für uns?“, so Karg. „Wir werden trotzdem auf dem Kirchentag (Stand B25 in Halle 1) dabei sein, um an diesem Platz mit vielen offen über friedliche Wege aus dem Krieg heraus zu sprechen.“

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Martin-Niemöller-Stiftung auf dem Kirchentag

220422_dekt_hp_header_1536x12802Vom 7. bis 11. Juni lädt der 38. Deutsche Evangelische Kirchentag nach Nürnberg ein. Begegnung, Austausch, Diskussionen, Kultur und vieles mehr erwartet die Gäste an fünf Tagen mit rund 2.000 Einzelveranstaltungen. Auch die Martin-Niemöller-Stiftung ist wieder mit dabei. Sie finden uns auf dem Markt der Möglichkeiten im Themenbereich 5: Globale Herausforderungen, Messehalle 1, B 25.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Ausstellung über Else Niemöller in Nürnberg

Else_Niemoeller
Else Niemöller 1934 (Zentralarchiv der EKHN)

Zeitgleich zum Kirchentag ist die Wanderausstellung „Ihren Platz in der Welt finden – Else Niemöller (1890-1961)“  in der Nürnberger Martin-Niemöller-Kirche zu sehen. Die Ausstellung, die von Jeanette Toussaint in Zusammenarbeit mit der Martin-Niemöller-Stiftung konzipiert und erstellt wurde, ist jeweils von 8 bis 19.30 Uhr durchgehend geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Zur Ausstellungsbegleitung lädt Pfr. Dr. Joachim Habbe am Donnerstag, den 8. Juni 2023, um 19.30 Uhr zu einem Vortrag in den Kirchenraum der Martin-Niemöller-Kirche ein. Unter dem Titel „Das Ehepaar Niemöller in seiner Bedeutung für die junge Bundesrepublik Deutschland“ geht es insbesondere um das Wirken von Else Niemöller als Friedensaktivistin, internationale Rednerin und als Leiterin der CARE-Pakete Aktion.

Kontakt
Martin-Niemöller-Kirche
Annette-Kolb-Strasse 57
90471 Nürnberg
Telefon 0911 – 86 80 22
E-Mail: pfarramt@martin-niemoeller-kirche.de

Die interne Debatte geht weiter:
Russlands Krieg gegen die Ukraine

22-09-14FRClaudia Sievers Gespräch .pdf

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22-09-14FR Gespräch

Die Online-Ansicht als pdf-Datei:

2022 09 14 FR-Gespräch_claudia-gerd_online

Frankfurter Rundschau, Mittwoch 14. September 2022, S. 2/3

Sie arbeiten seit langem zusammen in der Martin-Niemöller-Stiftung. Aber beim Blick auf den Krieg gegen die Ukraine kommen Gerd Bauz und Claudia Sievers zu gegensätzlichen  Einschätzungen. Das wurde in ihren Gastbeiträgen für die FR-Reihe Friedensfragen deutlich. die Frankfurter Rundschau hat sie zu einem Gespräch an einen Tisch geholt.

Frau Sievers, Herr Bauz, zählen Sie sich zur Friedensbewegung?

Claudia Sievers: Ja.

Gerd Bauz: Ja.

Sind Sie ein Pazifist, Herr Bauz?

Bauz: Ja.

Und Sie, Frau Sievers?

Sievers: Der Begriff Pazifismus hat für mich in diesem Krieg seine Unschuld verloren.

Sind Sie Bellizistin?

Sievers: Auf  keinen Fall. Ich bin der Meinung, dass man der Ukraine auch militärisch helfen muss, zu überleben. Das hat nichts mit Bellizismus zu tun.

Wir haben Sie eingeladen, weil Sie für die FR-Serie Friedensfragen zwei höchst kontroverse Beiträge geschrieben haben. Zum Beispiel über die Frage „Wer führt diesen Krieg?“ Herr Bauz schrieb: „Die Nato führt Krieg, indirekt.“ Frau Sievers antwortete: „Ich frage mich, was noch passieren muss, damit auch Friedensbewegte wie Gerd Bauz verstehen, dass Russland diesen Krieg führt.“ Fühlen Sie sich missverstanden, Herr Bauz?

Bauz: Ja. Zum Kriegführen gehören zwei. Es gibt eine Möglichkeit, aus diesem Krieg herauszukommen, und die wird von unserer Seite – also Nato/USA – nicht genutzt. Insofern führen beide diesen Krieg. Ich würde dieses Wort „indirekt“ sogar ein Stück korrigieren. Die Unterstützung ist direkt, aber inoffiziell. Die Panzerhaubitzen werden ferngewartet hier aus der Bundesrepublik. Der gesamte Staatshaushalt der Ukraine wird derzeit vom Westen finanziert, also auch der Sold der Soldaten. Die Ausbildung findet hier statt, wahrscheinlich auch die Auswahl der Ziele durch die Aufklärung der Nato. Die Ukraine würde innerhalb von zwei Stunden zusammenbrechen, wenn sie nicht von hier gestützt würde. Es ist ein inoffizieller Nato-Krieg. Wir tragen Mitverantwortung. Dadurch haben wir aber auch eine Einflussmöglichkeit.

Sievers: Ich  widerspreche dieser Fixierung auf die Nato. Diesen Krieg hat einzig und allein Russland zu verantworten, und er ist eingebettet in ein imperiales Projekt. Ich möchte hier auch nicht wieder über die angeblich verletzten Sicherheitsinteressen Russlands sprechen – das war nur eines von vielen Narrativen, von dem sich Russland längst verabschiedet hat. Länder wie Moldawien, Georgien oder Finnland und natürlich die Ukraine haben auch Sicherheitsinteressen.

Bauz: Ich stimme Dir völlig zu, dass dies ein imperialer Angriff auf die Ukraine war.

Sievers: Ein lange geplanter!

Bauz: Ja, ein lange geplanter. Aber das ändert nichts daran: Es hat einen Vorlauf, es hat verschiedene Beteiligte, deren Interessen berücksichtigt werden müssen. Aber wenn man nach vorne schaut, muss man doch betrachten: Wie kann Russland mit seinen Sicherheitsinteressen wieder eingebunden werden?

Sievers: Es kann keinen Frieden geben ohne Russland. Aber es kann auch keinen Frieden geben mit einem Russland, das das Völkerrecht und die Menschenrechte missachtet und kein verlässlicher Bündnispartner ist. Wenn wir einen friedlichen Nachbarn Russland möchten, müssen wir diejenigen unterstützen, die für ein „anderes Russland“ stehen. Man verrät einen Teil der russischen Gesellschaft, wenn man sich mit dem Regime zu sehr gemein macht. (mehr …)

Debatte: Russlands Krieg gegen die Ukraine

Auch in der Martin-Niemöller-Stiftung treffen die unterschiedlichen Einschätzungen aufeinander. Wir dokumentieren Rede und Gegenrede zwischen Gerd Bauz und Claudia Sievers in der Frankfurter Rundschau.

 

2022 08 19 FR-was bietet der pazifismus.. (1)Was hat der Pazifismus noch zu bieten?

von Gerd Bauz, FR vom 19.08.2022

„Verhandeln heißt nicht kapitulieren,
ist kein Zeichen der Schwäche,
sondern 
der Reife.“

Da hat man schon einen bitteren Rückschlag einzustecken, dann wird man auch noch beschimpft, von „Ponyhof“ bis „Unterwerfung“, von „naiv“ bis „obszön“. So geht’s gerade dem Pazifismus. Mittlerweile dreht sich das Blatt ein wenig, der Krieg kommt nicht voran und der Pazifismus wird gefragt: Wie kommen wir aus dem Krieg zum Frieden?

Militärischer Sieg oder Verhandlungslösung? Nato, Ukraine und Russland sind sich einig, Entscheidung auf dem Schlachtfeld. Das ist furchtbar, grausam und herzlos, aus der Zeit gefallen. Aber viele in ihren Ländern tragen das mit, sind selbst geistig und seelisch ins „System Krieg“ gefallen. Politik ade, der Krieg wird’s richten, wir fechten es aus, der Sieg ist unser, „Panzer, Panzer, Panzer.“

Ein militärischer Sieg ist weder realistisch noch wünschenswert. Unter seinem nuklearen Schirm ist Russland unangreifbar und unbesiegbar. Zudem gibt es für Nato-Europa die abschreckende Zweitschlagskapazität nicht. Sollte ein russischer Atomangriff erfolgen – wird militärisch voraussichtlich nichts geschehen; es wird zu Verhandlungen kommen. Wenig schlüssig ist zu meinen, der Krieg sei der bösen Psyche Putins entsprungen, und zu glauben, er lasse sich einfach besiegen.

Das Sieg-Ziel ist ethisch und politisch abzulehnen, weil es das Töten, Vergewaltigen, Zerstören fortführt auf unbestimmte Zeit. Auf diesem Weg wird die Ukraine „Grenzland“ wie vielleicht nie zuvor in ihrer Geschichte, zerrieben zwischen den Blöcken Russland und Nato. Der ukrainische Präsident Selenskyj setzt nur auf Sieg, wie viel Leid mutet er seinem Volk zu? Ein Viertel von 42 Millionen lebt jetzt im Ausland, was bedeutet das für die zerrissenen Beziehungen und Familien? Ein Mädchen, das hier Zuflucht fand, wird in dieser Zeitung so zitiert: „Egal, wie es mit uns weitergeht, ob wir hierbleiben werden. Wir wünschen uns nur eins, dass es Frieden gibt.“

Der Spurwechsel zu Verhandlungen braucht allerdings das Verlassen der bellizistischen Sichtweisen. Verhandeln heißt nicht kapitulieren, ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Reife. Das Kriegsnarrativ, mit Putin könne man nicht verhandeln, ist doppelt irrig. Niemand kann dies wissen, der’s nicht versucht. Und es ist praktisch widerlegt: Die Getreideexporte sind erfolgreich ausgehandelt und werden umgesetzt.

Verhandeln folgt der Friedenslogik. Es spielt keine Rolle, wer kriegerisch gerade im Vor- oder Nachteil ist, ein Ergebnis wird erzielt und Bestand haben, wenn beide Seiten ihre Interessen gewahrt sehen. Dann aber ist es stabil. Als Menschen handeln wir im positiven Sinne mit dem, was wir als möglich voraussetzen.

Die emotionale Hürde ist: Aus dem Feind, dem Aggressor, wird der Verhandlungspartner, aus dem Schlächter von Butscha wird Herr Wladimir W. Putin, Präsident der Russländischen Föderation, so der offizielle Name. Verhandelnd geht es um Respekt, im Ergebnis um Fairness.

Stammte der russische Angriff aus einer inneren bösartigen Entwicklung, könnte man logischerweise nur kämpfen und vernichten. Es liegt aber ein jahrzehntelanges Konfliktgeschehen vor, die Nachbeben des Zerfalls der Sowjetunion. Russland als Nachfolgestaat hat die Phantomschmerzen des Kleinerwerdens zu bearbeiten, USA und Nato ihre Hybris als Sieger. Die Ukraine braucht eine doppelte Bewegung, sich aus der Abhängigkeit von Russland ihre Souveränität zu erringen beziehungsweise jetzt zu verteidigen (am besten in Verhandlungen als gesicherte Neutralität) und die unverrückbare räumliche Nachbarschaft zum gegenseitigen Nutzen zu gestalten.

Es braucht zwei Verhandlungstische: Ukraine-Russland und Nato-Russland. Der General a.D. und Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hat früh den „Nato-Russland-Rat“ vorgeschlagen. Das wird nicht aufgegriffen. Das hat einen Grund, das Tabu dieses Krieges. Manchmal muss der Pazifismus das kleine Kind aus Andersens Märchen sein, das ausspricht: Der Kaiser ist nackt. Die Nato führt Krieg, indirekt. Wie lange muss die Ukraine leiden, bis die Nato Verhandlungen anbietet – oder deren Führungsmacht, die USA?

Gerd Bauz, Organisationsentwickler und Mediator, ist Vorstandsmitglied der Martin-Niemöller-Stiftung.

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322.30-08FRClaudia_SieversSind Teile der Friedensbewegung blind für Putins Aggression?

von Claudia Sievers, FR vom 30.08.2022

 

„Es gibt in diesem Krieg nur einen Akteur,
der nicht am Frieden interessiert ist – der,
der einen Angriffskrieg führt.“

 

 

In weiten Teilen der „alten“ Friedensbewegung ist aktuell eine schwer zu greifende, subkutane Russland-Affinität anzutreffen. Der Beitrag von Gerd Bauz in der Serie Friedensfragen der FR (19.8.2022) atmet leider genau diesen Geist.

In dieser eingefahrenen Logik verbleibend ist für den Autor klar: „Die Nato führt Krieg, indirekt.“ Ich frage mich, was noch passieren muss, damit auch Friedensbewegte wie Gerd Bauz verstehen, dass Russland diesen Krieg führt? Wann werden sie damit aufhören, sich aus einer jahrzehntelang gepflegten Gegnerschaft zur Nato reflexhaft auf die Seite einer brutalen Diktatur zu stellen? Denn das tun sie.

 Der Beitrag von Gerd Bauz atmet – allen Leid- und Zerstörungsfloskeln zum Trotz – vor allem eine immer wiederkehrende Gleichsetzung von Tätern und Opfern. Wenn der Autor schreibt: „Nato, Ukraine und Russland sind sich einig, Entscheidung auf dem Schlachtfeld“, dann suggeriert er damit eine Auseinandersetzung zwischen drei gleichwertigen Akteuren, die sich nur untereinander einigen müssen; als hätte Russland nicht längst die Entscheidung getroffen, die Ukraine als Staat und als Kultur zu zerstören.

An anderer Stelle vollzieht der Autor sogar eine Täter-Opfer-Umkehr mit der Aussage, ein „Sieg-Ziel“ sei abzulehnen, weil es weitere Opfer verursache – gerade so, als sei nicht der Angriff, sondern eine erfolgreiche Verteidigung die Ursache des massenhaften Sterbens. Besonders der Satz über Wolodymyr Selenskyj „Wieviel Leid mutet er seinem Volk noch zu“? ist eine Täter-Opfer-Umkehr wie aus dem Bilderbuch: WER mutet denn eigentlich dem ukrainischen Volk so viel Leid zu? Es gibt in diesem Krieg nur einen einzigen Akteur, der nicht am Frieden interessiert ist, und das ist der, der einen revisionistischen Angriffskrieg führt.

Für eine fatale Fehleinschätzung halte ich die Aussage, dass der aktuelle Krieg auf ein jahrzehntelanges Konfliktgeschehen ausgelöst durch Nato/USA zurückzuführen sei und eben nicht einer „inneren bösen Entwicklung“ entstamme. Woher kommt diese Blindheit (nicht nur, aber besonders) von Teilen der Friedensbewegung, die die Entwicklung Russlands der letzten Jahrzehnte entweder schlicht verschlafen oder bewusst ignoriert haben? Die Tschetschenien- und Georgien-Kriege, die Zerstörung Grosnys, Giftanschläge, Auftragsmorde, Staatsterror, Wahleinmischungen im Westen, Unterstützung rechtsextremer Parteien, Massaker in Syrien, Destabilisierung durch Trollfabriken und Desinformationskampagnen, Krieg im Donbas, Annexion der Krim, Abschuss von MH17, Zerstörung der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Friedensordnung, Cyber-Attacken auf zahlreiche NATO-Mitglieder, Entwicklung zur repressiven Diktatur, Massenmord in der Ukraine – die Leute vom Fach beobachteten diese Entwicklung schon lange und warnten entsprechend.

Natürlich sind Verhandlungen und Gespräche immer einer gewaltsamen Lösung vorzuziehen. Jede Bemühung, auch in kleinen Schritten Fortschritte zu erreichen, ist zu unterstützen. Leider leidet auch dieser Beitrag – wie all die Offenen Briefe und gutgemeinten Positionspapiere – darunter, dass die Vorschläge über Allgemeinplätze nicht hinausreichen.
Gerd Bauz spricht von „Verhandlungen, bei denen beide Seiten ihre Interessen gewahrt sehen“. Ich möchte ihn als erfahrenen Moderator gerne fragen, wie er sich Verhandlungen vorstellt, wenn die eine Seite das dezidierte Interesse hat, die andere zu zerstören, und diese das Interesse verfolgt, dies nicht zuzulassen.

Eine Friedensbewegung, wie ich sie verstehe, sieht ihre Aufgabe auch darin, die die offene Gesellschaft gegen einen Despoten zu verteidigen, der den westlichen Demokratien ausdrücklich den Kampf angesagt hat. Die „alte“ Friedensbewegung atmet hingegen wie die Partei Die Linke und – man kommt nicht umhin, es in einem Atemzug zu nennen – die AfD  eine unterschwellige Russland-Affinität. Was bei den Alt- und Neurechten die generelle Ablehnung der ihnen verhassten liberalen Demokratie als Ausdruck des in ihren Augen „dekadenten“ Westens ist, speist sich bei der Friedensbewegung aus einer jahrzehntelangen Sozialisation, in der neben vielen Erfolgen in Sachen Abrüstung, Rüstungskontrolle und ziviler Konfliktbearbeitung der misstrauische Blick immer gen Westen gerichtet blieb.
Ob der Pazifismus heute noch etwas zu bieten habe? Eine Anerkennung der Realitäten und der Schutz der Angegriffenen scheint mir jedenfalls im Moment vordringlich zu sein.

Claudia Sievers war von 1997 bis 2020 Geschäftsführerin und Vorstandsmitglied der Martin-Niemöller-Stiftung und betreute zehn Jahre lang das deutsch-ukrainische „Projekt Peremoha“ (Thema: „Verbrannte Dörfer“, Zwangsarbeit) der Stiftung.

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