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„Sie haben sich ein ziemlich unbequemes Objekt ausgesucht, liebe Preisstifter!“ (2012)

KahaneWeb

Laudatio von Anetta Kahane

Am 9. Juni 2012 fand im Kulturhaus Neuruppin die Verleihung des Julius-Rumpf-Preises 2012 an das das Jugendwohnprojekt „MittenDrin“ statt. Wir dokumentieren die Laudatio von Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung).

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Ingrid und Eberhard Rumpf, Gründer der Julius-Rumpf-Stiftung, liebe Michael Karg und Claudia Sievers von der Martin-Niemöller-Stiftung, liebe Preisträger!

Mit Preisen ist das so eine Sache. Die einen vergeben sie. Andere bekommen sie. Ein Verhältnis von Objekt und Subjekt. Irgendwo haben Menschen Geld, dann sitzen sie zusammen und suchen etwas, das aus der Fülle des Lebens quillt und ihnen gefällt. Sie haben dabei ein Thema im Sinn, das ihnen wichtig ist. Sie diskutieren über Kandidaten, loben oder verwerfen, erzählen einander, was sie von ihnen wissen oder gehört haben. Ich bin selbst in Jurys, die über Preise entscheiden und weiß etwa wie das geht. Auf der anderen Seite ist da das Objekt, der Auszuzeichnende. Oft weiß er überhaupt nichts davon, dass man über ihn berät, ihn mit anderen vergleicht, sich kritisch und freundlich seiner Arbeit zuwendet. Dann irgendwann kommt die Entscheidung. Der Preisträger steht fest und erfährt von der bevorstehenden Ehre. Hier beginnt erst der Moment der Interaktion. Stifter und Preisträger begegnen sich mit dem Wissen, dass der eine von dem anderen geehrt wird und dies als Zeichen der Anerkennung auch bitte annehmen soll. Ein hierarchischer Vorgang – so würden es die jungen Leute von MittenDrin formulieren. Denn liebe Preisstifter, Sie haben sich ein ziemlich unbequemes Objekt ausgesucht!

Aber das war es ja, was Sie wollten. Und das hat auch einen Grund. Egal ob Objekt und Subjekt, die Stifter dieses Preises – und auch sie kommen aus diesem Verhältnis nicht heraus – die Stifter suchen nach dem Unbequemen. Deshalb stiften sie. Richtig? Andere wählen ihre Preiskandidaten nach Schönheit oder besondere wissenschaftliche Leistung, oder weil sie so großartig Musik machen können. Bei Ihnen ist das anders. Sie wollen die Unbequemen, diejenigen, deren Engagement die Gesellschaft bewegen und ermutigen, sie humaner machen. In diesem Sinne unterscheiden Sie sich am Ende doch nicht von anderen Stiftern. Denn die jungen Leute von MittenDrin könnten es was Schönheit, Klugheit und Begabung betrifft mit all diesen Koryphäen locker aufnehmen. Schauen Sie sie an.

Die Stifter des Julius Rumpf Preises tun das, wegen einer wichtigen Tradition: die des Widerstands. Julius Rumpf gehörte wie Pastor Niemöller zum Besten, was der deutsche Protestantismus hervorgebracht hat. Die Bekennende Kirche ließ sich durch den Nationalsozialismus nicht korrumpieren. Damit war sie unter den Christen in Deutschland ziemlich allein. Wenn jemand sich wie Julius Rumpf bekannte, dann wusste er, was er tat. Die Bekennende Kirche geriet massiv unter Druck, viele ihrer Mitglieder mussten aus Deutschland fliehen oder ihre Pfarreien verlassen. Einige wie Martin Niemöller kamen in Haft, überstanden wie er Konzentrationslager nur knapp. Oder wurden ermordet wie Dietrich Bonhoeffer oder Hildegard Jacoby. Julius Rumpf hatte Glück, seine Strafe für das Unbequemsein war „nur“ Berufsverbot. Sein Widerstand jedoch war alles andere als selbstverständlich.

Wenn ich heute durch Deutschland reise, durch das reiche, glückliche Deutschland, auferstanden aus Trümmern, Schuld und Teilung, dann sehe ich, wie viel Last die Geschichte uns allen hinterlassen hat. Und wie viel Leid sie heute noch verursacht. Seit der Vereinigung haben Neonazis 182 Menschen ermordet. Die Gründe dafür sind irrelevant. Ich meine eigentlich, die Begründungen sind unwichtig, die Gründe jedoch sind nicht unwichtig. Denn sie haben etwas mit der Vergangenheit zu tun, mit den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus, die sie den Juden, Sinti Roma, politischen Feinden angetan haben. Und selbst wenn sie nicht selbst beteiligt waren, so halfen sie durch Gleichgültigkeit und Nichts-Tun. Der Hass auf Minderheiten, Antisemitismus, Rassismus und politischer Totalitarismus gibt es in verschiedenen Formen und in verschiedenen Ländern. Auch heute noch, doch die Deutschen haben etwas getan, was sie von den italienischen Faschisten deutlich unterscheidet. Antisemitismus und Neid, gepaart mit Nationalismus, Aggression und Narzissmus haben dazu geführt, überhaupt auf die Idee zu kommen, Menschen ihrer Herkunft wegen industriell abzuschlachten. In Gaskammern. Mit einem riesigen logistischen Aufwand wurden Juden aus ganz Europa an einige Orte gebracht, die heute noch Synonyme deutscher Verbrechen sind – wie Auschwitz. Ein Apparat von hunderttausenden Mitarbeitern und Helfern hat das ermöglicht. Neben den Vernichtungslagern überzog ein engmaschiges Netz von Konzentrationslagern, Arbeitslagern, Straflagern dieses Land hier. Allein im „reichsdeutschen“ Gebiet gab es mehr als 30 000 Lager mit Außenlagern und Nebenstellen. Um diese Lager herum entstand eine Infrastruktur, ganz zu schweigen von den Betrieben, in denen die Gefangenen zur Arbeit gezwungen waren. Schwer vorzustellen dass all diejenigen Deutschen, die für und um diese Lager gearbeitet haben, nicht wussten was sie da taten.

Wenn also hunderttausende daran mitgearbeitet haben und Millionen dazu schwiegen, ist es schwer und mutig dagegen Widerstand zu leisten. Und zu den wenigen, die es taten gehörte auch Mitglieder der bekennende Kirche. Martin Niemöller und Julius Rumpf werden daher immer im Gedächtnis derer bleiben, die sich auch Generationen nach ihnen nicht abfinden wollen mit dem Vergessen und Verdrängen.

Angst ist ein deutsches Wort. Hinter diesem Wort verbergen viele Menschen auch heute ihr Nichtstun. Wenn ich also durch Deutschland reise um Menschen zu unterstützen, die sich mit Nazis rumschlagen müssen, ist das Wort „Angst“ immer gegenwärtig. Fast nie wird es von denjenigen benutzt, die Widerstand leisten, die Opfer beraten oder sich in Jugendinitiativen gegen Rechtsextremismus organisieren. Dafür höre ich es fortwährend von denen, die nichts tun. Angst hätten sie. Vor allem Möglichen. Vor Imageverlust, vor Ärger mit Vorgesetzten, oder „dann kommen die Nazis und hauen mich“, Angst vor der eigenen Courage. Angst. Was für ein Wort für eine Nation, die so viel reale Angst und wirklichen Schrecken verbreitet hat. Werdet ihr gefragt, ob ihr Angst hättet? Ja? Nein? Und wer fragt eigentlich? Wovor habt ihr Angst? Ihr habt Angst, ich weiß das. Es gibt Gründe dafür! Die Nazis verprügeln euch, greifen euer Haus an, sie verdrehen die Schuld. Sie versuchen euch zu delegitimieren. Und nicht nur sie. Auch der Verfassungsschutz, manche Mitarbeiter in Land und Kommune oder Polizei. Es steht viel auf dem Spiel für euch. Die Förderung, die Gemeinnützigkeit und nicht zuletzt eure Gesundheit. Denn es ist noch immer gefährlich was ihr tut.

Aber was tut ihr eigentlich? Ihr arbeitet und lebt selbstbestimmt. Ihr gebt Jugendlichen etwas, das man zu Recht Heimat nennen kann. Ihr informiert euch, ihr seid politisch interessiert. Ihr diskutiert über die Probleme dieser Gesellschaft. Ihr repariert Fahrräder. Bastelt an Computern. So was macht ihr. Ihr kocht manchmal oder veranstaltet Konzerte. Und: ihr kümmert euch um die Erinnerung. Damit die Lager nicht vergessen werden, räumt ihr sie auf in eurem Antifacamp. Das Außenlager von Ravensbrück, in dem ihr arbeitet, ist jetzt wieder zu erkennen. Ihr redet mit Zeitzeugen. Ihr hört euch deren Geschichten an. Und ihr verteidigt euch gegen die Nazis von heute. Angst? Das Wort habe ich hier nie gehört. Dabei hättet ihr allen Grund auch darüber zu sprechen.

Liebe Stifter, Sie haben sich mit dem Preisträger eine Gruppe ausgesucht, die nicht nur das alles tut und damit ein Beispiel ist für all jene die sich hinter dem Wort Angst nur verstecken. Sie haben hier junge Leute, deren Projekt vor 20 Jahren begann. Und es gibt es immer noch. Dieses Projekt MittenDrin Neuruppin, gegründet 1993, als die Asylheime brannten und Pogrome das Land überzogen, war eine Antwort darauf. Und eine Schlussfolgerung, eine Konsequenz aus der untergegangenen DDR. Die Antwort auf Faschismus ist eben nicht Antifaschismus sondern demokratische Vielfalt. Leben mit Minderheiten, Gleichwertigkeit nicht Gleichmacherei. Freiheit der Entfaltung und nicht ideologische Verordnung. Das steht genau so in eurer Satzung. Selbstbestimmung nicht Fremdbestimmung. Das wollt ihr. Und das ist auch die einzige, die richtige Antwort auf Nazis und deren Mitläufer. Und ihr zeigt uns jeden Tag wie das geht. Deswegen sind Plenum und Küche, Fahrrad und Putzplan genauso wichtig wie die Projekte, die ihr macht. Denn ihr macht sie im Geist der Freiheit und des Widerstands. Ihr seid nicht korrumpierbar. MittenDrin ist ein erwachsenes Projekt, obwohl ihr Jugendliche seid. Weil erwachsen bedeutet, Vielfalt auszuhalten und Widersprüche und eine Haltung zu haben, statt sich hinter Angst zu verbergen. Und darin seid ihr klug und virtuos, wie eure Auseinandersetzung mit dem VS Brandenburg zeigen. Dass dies gelungen ist, zeigt übrigens was für großartige Demokraten ihr seid. Und dass dieses Land keine Diktatur ist! Denn bei allem Dagegensein vergesst ihr auch das nicht.

Julius Rumpf und Martin Niemöller haben es sich aussuchen können, ob sie Widerstand leisten gegen den Nationalsozialismus. Sie waren keine Juden. Die konnten sich nichts aussuchen. Keine ihrer persönlichen Entscheidungen hat an ihrer Verfolgung etwas geändert. Bei den Mitgliedern der bekennenden Kirche war das anders. Sie mögen Angst gehabt haben und standen dennoch zu dem, an was sie glaubten. Und immerhin ein Teil von ihnen half auch denen, die keine Wahl hatten und retteten Juden vor dem sicheren Tod. Das werde ich niemals vergessen.

So kommen wir nun zum Geben und Nehmen. Ich denke, der Julius Rumpf Preis 2012 hätte keinen würdigeren Preisträger finden können. Und lieber Preisverleiher: es ehrt Sie, dass Sie ihn heute an MittenDrin Neuruppin vergeben. Das nenne ich auf Augenhöhe!

Ich gratuliere ihnen, den Preisträgern wie den Preisverleihern.

Vielen Dank.

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