von Martin Stöhr
51 Thesen anläßlich der Tagung „Schwerter zu Pflugscharen 1983 – Spieße zu Winzermessern 2003. Die Bedingungen des Friedens heute“ in der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt in Lutherstadt Wittenberg vom am 26.-28. 9.2003
I
1. Moral wie Vernunft singen in der Friedensfrage dasselbe Lied, das C. F. von Weizsäcker in seiner Friedenspreisrede (Paulskirche 1963) auf die Formel brachte, dass der Weltfrieden einer „außerordentlichen moralischen Anstrengung“ bedürfe. Moral wie Vernunft haben sich, auch in ihren Trägern, den Religionen und den Wissenschaften, in den Dienst von Hass, Krieg und Menschenvernichtung stellen lassen. Sie sind nicht unschuldig, da instrumentalisierbar zu jeder Inhumanität. Sie sind jedoch zur Kooperation verpflichtet, zur Lösung der Überlebensfrage der Menschheit notwendig. Nur ihre jeweiligen Soloauftritte verdienen dann das Verdikt „unpolitisches Moralisieren“ oder „eiskalte Rationalität“. „Moral“ oder „Ethik“, d.h. menschliches Verhalten ist beides. Es fragt sich nur, welche Moral, welche Ethik. Darum muss gestritten werden.
2. Der Streit beginnt notwendigerweise bereits in der Analyse und Deutung der Problemlage. Eine friedensethische Urteilsbildung ohne Analyse der Situation ist als nur guter Wille blind; ohne Bezug auf Herkunft und Zukunft der Menschen ist sie beliebig.
3. Der christliche Glaube als way of life sagt auf eigene, profilierte Weise (neben anderen Religionen und politisch/ökonomischen Konzepten), was menschliches Leben, Zusammenleben sowie Überleben ist, was es wert ist, was es kostet, was es gefährdet. Er nennt nicht nur allgemeine Ziele, sondern sucht und geht Wege der Verwirklichung. Irrtumsfreiheit ist dabei keinem garantiert.
4. Die biblische Ethik bedenkt und vertritt ihre Auffassung nicht nur im Interesse der Minderheit der Christenmenschen, sondern zugunsten des Lebens aller Menschen. So liefert sie zur notwendigen Analyse ihre menschen- und lebensfreundlichen Kriterien und Handlungsmodelle, wie andere die ihren. Sie spielt ihre praktischen Beispiele, Zielvorstellungen und analytischen Erkenntnisse furchtlos und plausibel in die öffentliche Auseinandersetzungen ein.
5. Ein Christenmensch kommt wie die christliche Gemeinde in der Nachfolge Jesu Christi von Gott her und geht zu Gott. Dieser Weg des Menschen ist ein Weg offen für alle Menschen – in christlicher Sicht, was nicht bedeutet, dass andere Kulturen, Religionen, Weltanschauungen diesen Weg der Menschen auch so sehen (müssen). Gegenüber allen partikularen Interessen (religiöser, nationaler, ökonomischer, privater etc Art) eröffnet der biblische Glaube eine globale Perspektive: Es ist ein Gott, der eine Menschheit geschaffen hat und dessen nie aufgegebenes Konzept es ist, gegen die Korrumpierung seiner guten Welt diese wiederherzustellen. In der Einheit und Einzigkeit Gottes (Das Credo Israels in 5. Mose 6,4f mit dem Doppelgebot der Liebe in 3. Mose 19,18; von Jesus ausdrücklich in Mark 12,29f bestätigt) ist die Einheit der Menschheit und der einzigartige Wert eines jeden Menschen begründet, unabhängig von seinen Leistungen und Qualitäten jeder Art. Damit sind die singuläre Würde des Menschen als Ebenbild des singulären Gottes und eine verbindliche Ehrfurcht vor dem Leben (Albert Schweitzer) genannt. Die damit gegebene Beziehung der Menschen untereinander ist die Liebe – bis hin zur Feindesliebe.
6. Geschichte und Gegenwart der Christenheit ist zur Zeit in den „reichen“ Regionen des Globus stärker von Rückzugsgedanken ins Private wie beim biblischen Propheten Jona geprägt. Dieser weigert sich, mit einer möglichen Konversion zu Recht und Gerechtigkeit zu rechnen, handelt es doch bei den „Anderen“, für die er da ist, gerade um Leute, die nicht an „unseren“ Gott glauben. Diese „Anderen“, nicht biblisch Glaubenden, ärgern Jona heftig und beschämen Gottes Gemeinde, weil sie tun, was dort unterbleibt: Zur humanen Alternative umkehren. Wie und wann werden wir in der Friedens- und Gerechtigkeitsfrage aus dem nestwarmen Kirchen-Wal ausgespuckt, damit wir wieder den Boden der irdischen Aufgaben unter den Füssen und nicht die Flausen christlicher Innerlichkeit im Kopf haben?
7. Eine so verstandene Auffassung vom Menschen, von den zwischenmenschlichen Beziehungen und von seiner Geschichte ist in sich selbst eine Ethik, d.h. schließt Verhaltensweisen ein. Glaube lebt und wirkt als Ethos oder er ist nichts und existiert nur als Schimäre.
8. Die Zeile aus dem Protestantenschlager von der festen Burg „Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren“ (EG 362,2) ist nicht mehr zu singen. Zu häufig wurde der richtige Inhalt des Satzes bewusstlos vom unbedingten Vertrauen auf Gott in eine bedingungslose Affirmation der bestehenden Verhaltensweisen und Verhältnisse verwandelt. Dieser Vorgang leugnet, dass das unseren Glauben und damit unsere Friedensethik begründende Wort Gottes ein „Felsen zerschmetternder Hammer“ (Jer 23,29) ist. Dergleichen machtvolle Werkzeuge braucht, wer sich am Straßenbau in eine friedlichere Zukunft beteiligen will. Der Glaube ist eine Macht. Wir müssen sie gewaltfrei, anders als Jahrhunderte vor uns, ausspielen. Berge von Hass und Kriegswerkzeugen sind glaubend zu versetzen – in die Vergangenheit sowie in Museen. Dort beweisen sie nur, dass sie nicht leisten, was sie zu leisten vorgeben. D. Bonhoeffer (in seiner Auslegung der Bergpredigt von 1937 Nachfolge) setzt zu Recht eine Liedzeile auf den „Index“: „Es ist doch unser Tun umsonst, auch in dem besten Leben“ (EG 299, nach Ps. 130, wo diese ach so demütig klingende Ohnmacht gerade nicht religiös kultiviert wird!). Ethik sucht ein besseres Leben als es der politische, ökonomische und religiöse status quo derzeit bietet. Zum besseren Leben gehören Gerechtigkeit und Frieden. Sie verwirklichen sich nicht selbst.
II
9. So nur kommt die zukunftsorientierte, prophetische Seite des Glaubens zur Geltung mitsamt ihrem Bezug auf die nie widerrufene Verbindung Gottes mit seiner Menschheit und den zwei Gemeinden, Kirche und Israel, die für diesen Bund Gottes mit seiner Schöpfung und Menschheit stehen. Sie stehen als Erinnerungsposten dafür, wie die Wirklichkeiten der Welt zu gestalten sind. Sie sind die zwei Zeugen, auf deren Mund „die Wahrheit“ nicht ruht, sondern aus deren Leben sie spricht. – nicht für sich selbst, sondern für Gott und seine ganze Menschheit. Die damit gegebene politisch-prophetische Freiheit beschreibt der Soziologe Max Weber so: „Wenn dieser Prophet Gottes Zorn über Israel verkündigt, weil man das Prophezeien zu unterdrücken versuchte, so ist das etwa das gleiche, wie wenn ein moderner Demagoge Preßfreiheit verlangt. Tatsächlich war auch das Prophetenwort nicht auf mündliche Mitteilung beschränkt. Bei Jeremia tritt es als offener Brief auf. Oder Freunde und Jünger des Propheten zeichnen das gesprochene Wort auf und es wird zur politischen Flugschrift. Später, oder gelegentlich…schon gleichzeitig werden diese Blätter gesammelt und revidiert: Die früheste, unmittelbar aktuelle politische Pamphletliteratur, die wir kennen“ Max Weber, Das antike Judentum. Werke Bd. III, Tübingen 1921. S. 285). Die biblischen Propheten wie die prophetischen Aktivitäten der heutigen Gemeinden Gottes betreiben keine Wahrsagerei. Sie sagen die Wahrheit, indem sie kritisch die Gegenwart analysieren, auf die Folgen von Ungerechtigkeit und Unfrieden hinweisen und eine Konversion der menschlichen Verhaltensweisen und Verhältnisse jederzeit für möglich halten.
10. Der biblische Glaube betrifft als Ethik das persönliche wie das öffentliche Leben. Sie ist nicht nur eine Privatethik. Sie ist darauf angelegt, Recht als Recht von Menschen für Menschen zu gestalten. Die biblische Ethik drängt darauf, Rechtsgestalt zu werden. Die biblische Ethik und das ihr entsprechende Recht müssen – anders als das sprichwörtlich unveränderliche „Gesetz der Meder und Perser“ und anders als jede Prinzipienethik – in ständiger und kritischer Neuauslegung durch Menschen in andere Situationen hinein übersetzt und vitalisiert werden.. (Beispiele: Die Prophetie legt nichts anderes aus als den in der Befreiung aus Zwangsarbeit und Fremdbestimmung in Ägypten mit Israel geschlossenen Bund Gottes mit seinem Volk und dessen Verpflichtungen; die Sabbatgebote entwickeln aus einem kleinen Gebot (mit dem großen Bezug zur ganzen Schöpfung und zur Befreiung aus Ägypten) menschen- und zeitgerecht die Gebote der Sklavenfreilassung alle 7 Jahre, die Wiederherstellung der Lebensgrundlagen, ein Brachjahr für die Natur, für Arme und Tiere und auch alle 7 mal 7 Jahre ein Erlassjahr zum Schuldenerlass (und nicht nur ein sabbatical für Professoren); die Bergpredigt sowie Paulus z.B. in Röm. 12-14 bekräftigen und aktualisieren, was etwa in der Tora des Dekaloges „zu den Alten gesagt ist“).
11. Vieles aus der lebendigen Quelle der biblischen Botschaft ist überhaupt noch nicht ausgeschöpft. Die biblischen Hauptworte „Gerechtigkeit und Frieden“ gehören dazu. Sie werden, lernt sie die Christenheit aus ihrem Grundgesetz, Kirche und Gesellschaft noch heftig überraschen.
12. Manches haben wir dafür nicht mehr traditionell ernst zu nehmen – z.B. dass die „Frau in der Gemeinde schweige“ (1Kor14,34) oder dass, die Feinde zu vernichten seien (wie 1.Kö 18 oder am Ende von Mt 25 oder der Johannesoffenbarung), oder dass Gemeindeglieder wie Ananias und Saphira (Apg5,1ff), wegen eines Immobilienbetrugs mit dem Tod bestraft werden. Automatisch ist heute nicht Recht, was gestern Recht war. Umgekehrt: Was gestern Recht war, kann heute Unrecht sein, auch wenn der ehemalige Marinerichter und Ministerpräsident Filbinger das anders sieht. „Freiheit vom Gesetz“ meint keinen Abschied vom biblischen Gesetz, sondern einmal die Freiheit, Gottes „Weisung“ (= Tora =Gesetz) als Weisung zum Leben immer wieder zu studieren und zuspitzend in die Gegenwart hineinzuziehen. Zum anderen meint es, mit Gottes Geistesgegenwart zu rechnen, die uns das heute Verbindliche und zu Verwirklichende zeigt.
13. Dieser schon innerbiblische, kreative Innovations- und Auslegungsprozess verdankt sich einer Geschichtsauffassung, die nicht zyklisch, sondern geschichtlich denkt, also von einem Anfang her und auf ein Ziel hin. Sie kennt in der Bestimmung der Welt und des Menschen einen Sinn in der Geschichte und lebt und arbeitet dementsprechend weder sinn- noch ziellos. Die biblische Ethik ist nicht geschichtsscheu, sie ist ins gelingende Geschehen verliebt und riskiert deshalb neue Wege – will sie denn zum Ziel einer Welt ohne Hunger, ohne Schwerter, ohne Tränen, ohne Gotteshäuser, ohne Leid führen. Das ist das Ziel der messianischen Hoffnungen, die Juden und Christen teilen.
14. Die „Messianischen“, sprich die ChristInnen glauben nun, dass nach der Niederlage der Todesmächte auf Golgata mit dem neuen Leben Jesu die „neue Schöpfung“, der „neue Himmel und die neue Erde“, die „Vollendung der Welt“ angefangen hat. Dieser verwegene Glaube hat zwei Konsequenzen: Einmal inhaltlich, dass die prophetischen Hoffnungen auf Frieden und Gerechtigkeit unmittelbar zur gewaltfreien Alltagsethik der „Messianischen“ werden. Die Bergpredigt macht das deutlich. Zum anderen strukturell, dass auf dem langen Weg des „Leibes Christi“, des Messias also, nichts als die „imitatio Christi“ angesagt ist. Der Messias lebt auf Erden, das sagt die „Inkarnation“, die Menschwerdung Gottes, in seinem Leib, der Christenheit.
15. Dabei ist realistisch ebenso die Fähigkeit eines jeden Menschen in Rechnung zu stellen, dass er Gottes gute Schöpfung korrumpieren kann – verantwortungslos wie Adam und Eva, mörderisch wie Kain und Abel, schöpfungsgefährdend wie die Sintflut zeigt, oder arrogant und Verstehen blockierend wie in der Geschichte vom Turmbau zu Babel. Diese und ähnliche Geschichten legitimieren keine mich determiniernde „Erbsünde“, sondern dagegen die Fähigkeit, die Menschenwelt in Richtung eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ durch Gottes/Christi Geist menschlich zu gestalten. Gegen alle nicht zu leugnenden Heillosigkeiten und gegen alle menschlichen Kapazitäten zum Unheil und zu gewalttätigen Sinnlosigkeiten gehört die bibelinspirierte Gemeinde zu den Weltverbesserern (im Judentum heißt das tikkun olam). Wie bei Jesus ist die Zweinaturenlehre (wahrer Gott und wahrer Mensch) auch beim Menschen nicht statisch zu verstehen. Jeder Mensch ist zugleich „wahrer Sünder und wahre(r) NachfolgerIn/MitarbeiterIn Gottes“ mit der expliziten Befähigung und Beauftragung, durch Gottes Geist und Willen, in der Nachfolge z.B. die bisher zu wenig ausprobierte Bergpredigt zu tun und so das Haus der Welt auf Felsen statt auf Sand (Mt 7,24ff) zu bauen.
III
16. Die christliche Gemeinde in ihren verschiedenen Gestalten ist der Ort des konziliaren Prozesses, wo man an der Konkretisierung und Aktualisierung der biblischen Botschaft sich abarbeitete – ähnlich wie im gleichzeitigen rabbinischen Diskurs, die zum unabgeschlossenen Diskursprotokoll in Talmud und Midrasch führten. Hier trafen die unterschiedlichen Analysen der Wirklichkeit wie die Werte zur Wirklichkeitsgestaltung aufeinander. Hier wurde scharf und handlungsorientiert diskutiert. Mit der Verstaatlichung des Christentum und der Verchristlichung des Staates nach Konstantin werden die Freiheitsräume enger, Autoritäten und Rechte zur Glaubensabsicherung stärker. Die Neuentdeckung des konziliaren Arbeitens in der Christenheit der Neuzeit stimmt, weil ein Schritt ins Offene, hoffnungsvoll. Die Befreiungstheologie spricht von den Schritten „Sehen – Prüfen – Handeln“. Dabei wird ein Konsens angestrebt, der gemeinsames Handeln ermöglicht, der aber nicht erzwungen oder zur Voraussetzung christlichen Handelns gemacht werden darf.
17. Ethisches Subjekt ist die freie und einsame Gewissensentscheidung eines Einzelnen ebenso wie die Gemeinde. Beide handelnden Subjekte nehmen ihr Gegenüber wie ihr Handlungsfeld auch dadurch ernst, dass sie sich um Plausibilität ihrer Argumente bemühen. Eine Gesinnungsethik ist nur dann eine Glaubensethik, wenn sie zugleich Verantwortungsethik ist, also nach den Voraussetzungen und Folgen ihres Tuns und Lassens fragt. Gemeinde und Einzelne nehmen ihr Gegenüber nicht ernst, sondern berauben (privare) es um einen lebens- und friedensförderlichen Beitrag durch eine Privatisierung des Glaubens
18. Jeder Mensch hat als „Hohlraum“, als Potenz ein Gewissen. Das steht nicht in Frage. Entscheidend ist die Frage einmal, womit dieser Hohlraum gefüllt, in welche Richtung diese Potenz gesteuert wird. Zum andern darf die Realität nicht übersehen werden, dass das Gewissen (wie das der Kirche, der Wissenschaft, der Medien etc) einschlafen, erodieren oder verfetten kann, angepasst, bestochen, eingeschüchtert, gekauft oder abgestumpft werden kann. „Sein Gewissen war rein, er benutzte es nie“ (Jerzy Stanislaus Lec)
19. Gewissen wie Gemeinden bedürfen der ständigen Informations- und Motivationszufuhr durch Praxis- und Gemeinschaftserfahrung, durch Gottesdienste und Feiern.
IV
20. Eine bis heute nachwirkende konstantinische Fehlentwicklung besteht in einer Arbeitsteilung zwischen dem Staat (heute vor allem: der Wirtschaft): zuständig für die „äußeren, materiellen Dinge“ zu sein. Die Kirche: ist in diesem Zwei-Reiche-Modell zuständig für die „inneren, seelischen Dinge“. So begrüßt Kaiser Konstantin die aus den Katakomben auftauchenden und zum Staatskirchentum marschierenden Bischöfe im Jahre 314, jenem Jahr, in dem die Kriegsdienstverweigerer exkommuniziert wurden. Diese Entwicklung ist fehlgeleitet, weil die Wirklichkeit dann nur schizophren wahr- und ernstgenommen wird. Die Politik wird dann den Politikern überlassen, der Krieg den Militärs, die Religion dem Klerus, die Wissenschaft den Wissenschaftlern, die Wirtschaft den Wirtschaftlern etc. Die „theokratische“ Fehlentwicklung unterwirft dem Staat die Religion oder den Staat der Religion. Staatliche oder ökonomische Gewalt wird zur Durchsetzung ideologischer oder religiöser Werte und Glaubenssätze benutzt, die dadurch ihre menschliche Dignität an Strukturen abgeben, die ihrerseits „unbekehrt“, d.h. ins Unveränderliche versteinern.
21. Auch in den pluralistischen Gesellschaften besteht die Gefahr einer Theokratisierung. Sie ist keineswegs nur die Versuchung des Monotheismus, sondern auch des „Polytheismus“ der voneinander abgeschotteten, kommunikationsunfähigen oder –unwilligen Subsysteme einer Gesellschaft. Dann beanspruchen partikulare Interessen, Wissenschaften, Theorien, Medien, Religionen, Lebensstile oder Ökonomiekonzepte etc Alleingültigkeit oder den Spitzenplatz in der Hierarchie der Privilegien oder Ansprüche. Allmachtsphantasien, z.B. darüber, was der Markt oder die Wissenschaft alles regeln können, sind solche theokratischen Auswüchse.. Solche Selbsterhöhungen zur letzten Instanz bedürfen religions- und ideologiekritischer Analysen und Befragungen.
22. Friedensethik als biblische Ethik ist gewaltfrei; sie hat keine anderen Mittel, verwirklicht zu werden, als Wort und Nachfolge Gottes/Jesu Christi.
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23. Biblische Ethik denkt hoch von jedem Menschen, da sie ihn als Gottes Ebenbild ansieht. Das hat zur Folge, dass jeder Mensch an der menschlichen Bemühung, menschliches Leben, Zusammenleben und Überleben menschlich zu gestalten, zu beteiligen ist. Das ist die Verantwortung für die Politik, die res publica. Diesen Grundgedanken haben Demokratie und christlicher Glaube gemeinsam. „Die Demokratie, wie sie in der abendländischen Welt seit dem Eintritt des Christentums in die Geschichte gewachsen ist, hat nun einmal mehr mit dem Christentum zu tun, als irgendeine autoritäre Staatsform, die das Recht und die Freiheit für den einzelnen verneint“ (Martin Niemöller 1945).
24. Biblische Ethik denkt hoch vom Menschen, da jeder Mensch dem Nächsten kein tötender Kain, kein wegschauender Priester, kein vorübereilender Levit, keine um Selbsterhaltung bemühte Kirche sein oder bleiben muss, sondern Nächste/r werden kann und soll.
25. Biblische Ethik denkt hoch vom Menschen, weil sie ihn ermächtigt und ermutigt, sich an Gottes/Jesu Christi Tun zu beteiligen: Menschen von Schuld und Armut, Gewalt und Angst, Unterdrückung und Krankheit, Hoffnungslosigkeit und Unrecht, Blindheit und Lähmung zu befreien.
26. Demokratie wird ausgehöhlt, wenn ihre Menschen die Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden, Recht und Barmherzigkeit, Freiheit und Wahrheit, Menschenwürde und Bewahrung der Schöpfung an andere Institutionen oder Autoritäten abtreten statt sie selbst voranzutreiben. Alexis de Tocqueville beschreibt 1835 die Gefährdung der Demokratie von innen: „Ich will entwerfen, unter welchen neuen Zügen der Despotismus sich in der Welt einstellen könnte: Ich sehe eine unübersehbare Menge ähnlicher und gleicher Menschen, die sich rastlos um sich selbst drehen, um sich kleine und gewöhnliche Freuden zu verschaffen, die ihr Herz ausfüllen. Jeder von ihnen ist, ganz auf sich zurückgezogen, dem Schicksal aller anderen gegenüber wie unbeteiligt.“ Darüber sieht Tocqueville eine „gewaltige Vormundschaftsgewalt“ milde existieren, die „sorgt für ihre Sicherheit…erleichtert ihre Vergnügungen, führt ihre wichtigsten Geschäfte….Könnte sie ihnen nicht vollends die Sorge, zu denken, abnehmen und die Mühe, zu leben?“ (Demokratie in Amerika, S. 206f). Heute ist stärker als der Staat jene milde „Vormundschaftsgewalt“ in die internationalisierte Wirtschaft . Sie wird nicht ungern akzeptiert, weil sie in den wohlhabenden Regionen der Welt ihre Konsumenten mit Wohlstand honoriert. In den ärmeren versucht sie, den Wohlstand als automatische Folge eines freien Weltmarkts darzustellen – eine Zukunftsverheißung, die immer weniger Glauben findet. Die gescheiterte Konferenz der World Trade Organisation in Cancun (Mexiko) hat es gerade gezeigt.
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27. Gerechtigkeit und Frieden (Schalom) sind als Gottes Eigenschaften biblische Hauptworte: Sie sind der Inbegriff der Zielvorstellung und Handlungsorientierung des Reiches Gottes, das, nach Martin Buber, das Reich der Menschen ist, wie es einmal werden soll.
28. Es schließt ein: Frieden und Gerechtigkeit mit den und für die anderen, gerade auch mit Feinden, zu suchen. Was Gottes Gabe an die Menschen ist, wird zur menschlichen Aufgabe.
29. Weil ein solcher Frieden ein gerechter Frieden zwischen Menschen ist, ist ein Friedensschluss, eine Versöhnung, ein Sich-Abfinden mit Krieg und Unrecht ausgeschlossen. Es bedeutete die Versöhnung mit der Sünde statt mit dem Sünder (D. Bonhoeffer: Nachfolge 1937). Hier etablierte sich eine falsche Toleranz, die das duldet, was nach der biblischen Botschaft nicht zu dulden ist. Diese Toleranz schiebt sich gern als großzügige Gleich-Gültigkeit auf dem Markt der Konzepte und Sinnstifter an die Stelle eines Respekts, der das Anderssein des Anderen respektiert.
30. „Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17). Ohne Gerechtigkeit ist Frieden nicht zu haben. Evangelische wie Römisch-Katholische Kirche sprechen deshalb. heute nicht mehr vom „Gerechten Krieg“ als dem Grundgedanken jeder christlichen Friedensethik, sondern vom „Gerechten Frieden“.
VII
31. Gerechtigkeit fehlt heute in Gestalt von Menschenrechten. Sie kamen nicht ohne engagierte Arbeit von Juden und Christen in die Präambel der UNO-Charta von 1948. Dazu gehören auch die zivilen, sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte, die in den UNO-Menschenrechtspakten von 1966 festgelegt sind, also das Recht auf Leben, Folterverbot, Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit, Verbot willkürlicher Freiheitsentziehung, Recht auf angemessene Behandlung in der Haft, Schutz vor Eingriffen in das Privatleben. Hinzu kommen das Recht auf politische Mitwirkung, Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit etc. darüber hinaus wird gefordert das Recht auf Arbeit, Bildung, Ernährung, Wohnung etc.
32. Solche Frieden schaffende Gerechtigkeit und solches Recht mit den Instrumenten der Menschenrechte (im umfassenden Sinn) und des Völkerrechts durchzusetzen, ist die einzige Alternative zum Krieg. Dieser hat nach 1945 in Hunderten von Kriegen und Bürgerkriegen sein Unvermögen gezeigt, menschliche Konflikte, die es immer wieder geben wird, menschlich und nachhaltig zu lösen.
33. Hier hat die Christenheit ein kostbares Erbe couragiert und gegen Widerstände weiter zu entwickeln, z.B. von Hugo Grotius (1583-1645), einem der Väter des Völkerrechts mitten im 30j. Krieg, der am Beispiel des internationalen Seerechts auch die „Un- und Andersgläubigen“ (etsi Deus non daretur!) in das Rechtsgehäuse einbezog. Ein anderes Beispiel ist das von Henri Dunant (1828-1910), dem Gründer des internationalen CVJM, des Roten Kreuzes und – nachdem er das Gemetzel auf dem Schlachtfeld von Solferino gesehen hatte- dem „Initiator“ der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konventionen.
VIII
34. Ohne den Druck einer öffentlichen Meinung und engagierter Organisationen und Personen bewegt sich nichts. Die Christenheit ist aufgrund ihres biblischen Grundgesetzes eine dieser prägenden Faktoren.
35. Christus macht die Glaubwürdigkeit seiner Leute und Gemeinden an deren Identifikation und Solidarität mit denen fest, die (nach Mt 25 und Jes 58) kein Brot haben (es fehlt einem Drittel der Weltbevölkerung), kein Wasser (über eine Milliarde Menschen hat zuwenig oder nur unsauberes Wasser), kein Zuhause (über 70 Millionen sind auf der Flucht), keine Kleidung, Freiheit oder Gesundheit haben. Diese biblische Aufzählung ist die Grundform der Liste, die die UNO als die „basic needs“ für die Armen definiert. Sie abzuarbeiten, hat die internationale Staatengemeinschaft beschlossen, 0,7 % des jeweiligen Bruttosozialprodukts zur Verfügung zu stellen. Dieser Minibruchteil des Rüstungsetats wird von der Bundesrepublik mit 0,23 % nicht erfüllt.
36. Die von den europäischen (religiös geschlossenen) Staaten und Staatskirchen aus Europa ausgewiesenen unabhängigen Kirchen und Friedenskirchen, mit ihren Wirtschafts- und Freiheitsflüchtlingen, haben in den USA mit christlicher Motivation das hohe Gut der Menschenrechte entwickelt. In Frankreich wurden sie gegen eine staatsnahe und feudalistische Hofkirche, aber in den biblischen Begriffen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zum Glück für Europa erkämpft und anerkannt, wenn auch längst nicht überall durchgesetzt.
37. Immer waren es Minderheiten, die das nicht Selbstverständliche, ja Verbotene (Gewissensfreiheit, Menschenrechte, Kriegsdienstverweigerung, Abschaffung der Kinderarbeit und des Sklavenhandels) im Interesse einer Humanisierung der ganzen Gesellschaft durchsetzten. Eine der Aufgaben ist es, die babylonische Gefangenschaft der Politik (gerade der armen, aber auch der reichen Länder) durch die herrschende Weltwirtschaftsordnung zu beenden. Eine Demokratisierung der demokratiefreien Zone dieser Weltwirtschaftsordnung (mit Weltbank, Internationalem Währungsfonds und World Trade Organisation) ist unerlässlich.
IX
38. Eine Lehre vom gerechten Krieg, die einmal in der nicht christlichen (z.B. Cicero) und christlichen (z.B. Augustinus) Tradition entwickelt worden war, um Krieg und Gewalt einzudämmen, hat in der Geschichte mehr Gewalt legitimiert als verhindert. Ihre humanisierenden Kriterien (z.B. Legitimität; nur Verteidigung; ein gerechter Grund; das Ziel, eine Friedensordnung – dabei den Feind einbeziehend – wiederherzustellen; Mittel, die dem Ziel angemessen sind; der Verzicht, Richter in eigener Sache sein etc) wurden in den meisten Kriegen verletzt. Sie hatte ihre Zeit wie Kreuzzüge, Hexenverbrennung oder Kolonialismus. Sie über den Gedanken der nicht auszuschließenden „ultima ratio“ wieder zu beleben, wird weder den Kapazitäten totaler Vernichtungs- und Demütigungstechniken heute noch dem Wunsch der Opfer von sog. gerechten Kriegen gerecht.
39. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) erklärt 1948: „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein“. Er versammelt aber in sich a) ChristInnen, die (wie die historischen Friedenskirchen der Mennoniten, Quäker etc) prinzipielle Pazifisten sind, b) solche. die die Entscheidung über Krieg und Frieden als eine praktische Ermessensfrage der Politik überlassen und c) solche, die den Krieg als ultima ratio für denkbar halten. Wie im Vatikan verstärkt sich – nicht ohne Druck – eine Ethik des „gerechten Friedens“ gegenüber den drei klassischen Strömungen. Die Strömung a) muss verstärkt werden. Sie entspringt am nächsten der biblischen Quelle.
40. Der Krieg muss als Institution abgeschafft werden muss. Sonst schafft er die Menschheit und die Menschlichkeit ab. Noch ist dieser Satz eine Utopie. Aber die Mühsal ist notwendig, ihn in kleine und große Schritte nationaler und internationaler Bewusstseinsbildung und Politik umzusetzen, um aus der Utopie schrittweise Realität zu machen,
- weil die modernen Massenvernichtungsmittel (das sind nicht nur ABC-Waffen, sondern auch Minen, Bomben und Kleinwaffen, die Arbeitsplätze bei den Produzenten schaffen, sie bei den Opfern vernichten, die als Beihilfe zum Mord den Händlern des Todes Rendite bringen) mehr Zivilisten als Soldaten töten und Lebensgrundlagen zerstören, wie die Friedensruinen in Vietnam, Afghanistan, Angola, Tschetschenien, auf dem Balkan oder in Somalia etc belegen. die über 400 Millionen in aller Welt Landminen töten oder verletzen jeden Monat 2000 Menschen, meistens Kinder,
- weil die Ursachen von Krieg und Gewalt zu bekämpfen versäumt wird,
- weil im Zuge der Entstaatlichung Bürgerkriegsparteien (Warlords) und ökonomische Interessen (Drogen-, Edelmetall-, Diamanten- und Ölhandel etc) jenseits aller nationalen und internationalen Rechtssysteme ihre Kriege und „Friedensschlüsse“ praktizieren. Es braucht keinen Staat mit Gewaltmonopol in Angola, Guatemala oder im Kongo, der Frieden und Gerechtigkeit für möglichst viele Menschen durchsetzen kann. Warlords als Geschäftspartner im Drogen-, Öl-, Diamanten- und Waffengeschäft reichen den Vertretern der Industrieländer auch als Vertragspartner aus,
- weil der notwendige Kampf gegen die vielen Spielarten und Ursachen des internationalen Terrorismus nicht als Krieg mit Panzern und Raketen zu gewinnen ist,
- weil einem globalisierten Weltmarkt, einem globalisierten Finanz- und Kommunikationssystem (z.B. der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der World Trade Organisation) das Recht einer Partizipation aller, gerade der Armen, Machtlosen und Minderheiten, fehlt,
- weil der realiter nur teilweisen Globalisierung (die vor allem für Kapital, Informationen, reiche Reisende, Waffen gilt, nicht für Flüchtlinge vor Krieg, Hunger, Folter oder Naturzerstörung) keine entsprechende Bemühung um eine Globalisierung von gerechteren Bildungs- und Lebenschancen, von Menschenrechten und Arbeit, von Brot und Medikamenten entspricht. Deshalb wirkt die von Politikern und Wirtschaftlern der Industriestaaten immer beschworene Globalisierung des alles andere als freien Marktes notwendigerweise für Milliarden von Menschen zynisch,
- weil die Einteilung der Welt in Freunde und Feinde, in Gute und Böse dank einer häufiger Instrumentalisierung von Medien, ökonomischen bzw. politischen Konzepten und Religionen sowie dank der Denkfaulheit vieler Menschen den Krieg in einem totalitären Ausmaß überhöht und rechtfertigt.
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41. Recht und Gerechtigkeit ohne Sanktionsmöglichkeiten bleiben guter Wille und Papier. Deswegen ist über international vereinbarte und kontrollierbare Sanktionsmöglichkeiten nachzudenken, die in Analogie zur Polizei Rechtsbrecher, deren brutalste Vertreter Terroristen aller Lager sind, hindern, festsetzen und bestrafen.
42. Ohne den teilweisen Verzicht auf nationale Macht und nationales Recht, gerade der sog. Großmächte und Vetomächte im Sicherheitsrat (die zugleich die größten Waffenhändler sind), ist der Aufbau eines internationalen Rechts- und Sanktionssystems (beispielsweise der UNO, ihrer Gerichtshöfe, aber auch regionaler Zusammenschlüsse) nicht möglich.
43. Gerechtigkeit und Frieden sind nach christlicher Auffassung universale Werte, dürfen also nicht nationalen, wirtschaftlichen oder Block – Interessen unterworfen werden.
44. Waffenproduktion, Waffenhandel und –export sind wie Sklavenhandel oder Kinderpornografie als unethisch zu ächten und zu überwinden. Hier wird mit Todesmitteln statt mit Lebensmitteln Geld verdient.
45. Aus der christlich-ethischen Tradition des „Tyrannenmordes“ hat sich ein Widerstandsrecht entwickelt, das nicht nur vom Widerstand gegen das NS-Regime, sondern auch von Befreiungsbewegungen in Anspruch genommen wird. Der Ökumenische Rat der Kirchen (mit seinen 343 Mitgliedskirchen) vertritt 1966 auf seiner Konferenz „Kirche und Gesellschaft“, so wie der Vatikan in seiner Enzyklika „Populorum Progressio“ 1967, den Gedanken, dass die Duldung lang andauernder, struktureller und ungerechter Gewalt die größere Schuld sein könnte als die kurze Anwendung von revolutionärer Gewalt zu ihrer Überwindung.
46. Voraussetzung dieser nicht in einer Lehre von der „gerechten Revolution“ zu systematisierenden Handlungsmöglichkeit ist: Sie ist und muss ein Grenzfall der Notwehr bleiben. Sie darf nie zum Präzedenzfall werden. Seine Anwendung macht schuldig, verlangt also eine gewissenhaften Prüfung evtl. durch den Internationalen Strafgerichtshof.
XI
47. Keine Religion und kein politisches oder ökonomisches Konzept hat einen Monopolanspruch, die Lösung für die anstehenden Weltprobleme zu haben – es sei denn um den Preis eines Fundamentalismus.
48. Fundamentalismus zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Freund-Feind-Schema aus, das die Gewalt der „Guten“ gegen die „Bösen“ legitimiert. Er verbietet in seinen autoritären Strukturen, Alternativen zu denken oder ernst zu nehmen. Er sucht Sündenböcke, statt Ursachenforschung zu betreiben. Er will anti-modern heutige, Probleme, deren Schwierigkeiten radikal vereinfacht werden, mit dem Denken und den Mitteln von gestern lösen will.
49. Angesagt ist in einer vielgestaltigen Welt unterschiedlicher Kulturen, Konzepte und Religionen ein praktisches und diskursives Ringen um „die bessere Gerechtigkeit“ (Mt 5,20), das sich am Rechttun und nicht im Rechthaben misst.
XII
50. Das letzte, noch unabgeschlossene Kriegsbeispiel im Irak ist weiterhin noch öffentlich zu bearbeiten, um ethische, rechtliche und politische Konsequenzen daraus zu ziehen, denn
- ihm fehlt die völkerrechtliche Legitimation,
- er verfolgt vorrangig nationale, hegemoniale und wirtschaftliche Interessen,
- er legitimiert den präventiven Angriffskrieg als Präzedenzfall für alle Staaten, die sich stärker als ihre Nachbarn fühlen und auch wie Großmächte ihre nationalen und wirtschaftlichen Interessen mit Gewalt durchsetzen wollen (Kofi Anan am 23.9.03 vor der UNO: Es führt „diese zur Ausbreitung einer einseitigen und gesetzlosen Anwendung von Gewalt“),
- er ermutigt zur Verletzung des Proliferationsvertrages und somit zur Weiterverbreitung von Atomwaffen, da er die Lehre nahe legt: Wer Atomwaffen hat, wie Nordkorea, Indien oder Pakistan, wird nicht mit einem Krieg bedroht,
- er gibt den Machthabern in China, Russland, den USA etc ein „Recht“, ihre Opposition als „Terroristen“ zu definieren und entsprechend zu vernichten,
- er arbeitet mit doppelten Standards zur Durchsetzung von UNO-Resolutionen (Internationaler Gerichtshof, Kyoto-Protokoll, Menschenrechte der Indios, Aidsbekämpfung in Afrika, Aufbau von Zivilgesellschaften in Pakistan, Nordkorea, Somalia und Sierra Leone etc),
- er zerstört, auch durch die Folgewirkungen, – wie z.B. die zwei vorherigen Golfkriege oder der sowjetische Überfall auf Afghanistan – mehr Leben als er rettet,
- er verdrängt die Schuld aus der Kolonialgeschichte und die Tatsache, dass Saddam Hussein wie die Taliban von eben jenen (und anderen) Mächten mit Waffen ausgerüstet wurden, die heute ein- und angreifen,
- er gefährdet – durch überlagernde, fremde Interessen der Großmächte und der Nachbarstaaten – Recht, Leben und Integration in die Region des schon existierenden Staates Israel und des (mit dem Ende der israelischen Besetzung und ihrer Siedlungen) noch zu schaffenden Staates Palästina. Beide verdanken ihr Recht auf eine nachbarschaftliche Existenz in gesicherten und anerkannten Grenzen dem völkerrechtlich verbindlichen UNO-Beschluss vom November 1947.
51. Die beunruhigende Ruhe diesen Fragen gegenüber an Schulen und Hochschulen, in Kirchen und Gewerkschaften, in Parteien und Verbänden, auf der Strasse und in den Wohnzimmern ist friedengefährdend. Die alltäglichen Unterhaltungsprogramme beschädigen die Unterhaltspflicht, die wir für die uns anvertraute Welt haben.