Martin Niemöllers „Kasseler Rede“ vom 25. Januar 1959 im vollen Wortlaut.
Quelle: Stimme-Verlag, Darmstadt 1959
Vorbemerkung des Verlages
Wir legen hiermit der Öffentlichkeit die Kasseler Rede von Kirchenpräsident D. Niemöller vor. Um der wortgetreuen Wiedergabe willen – die Rede wurde frei, nach Stichworten, gehalten – ist von jeder stilistischen Bearbeitung abgesehen worden.
STIMME – Verlag
Erklärung des Synodalvorstandes
Der Herr Kirchenpräsident hat dem Synodalvorstand in seiner Sitzung vom 9.2. z959 den v vollständigen Text seiner in Kassel am 25. Januar 1959 gehaltenen Rede auf Grund einer Tonbandaufnahme zur Kenntnis gebracht. Der Synodalvorstand hat den seelsorgerischen Charakter der Rede festgestellt; er ist auch im übrigen der Meinung, daß kein Grund zur Einberufung einer außerordentlichen Synode besteht. Es ist damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit die Rede in ihrem vollen Wortlaut von dem Herrn Kirchenpräsidenten veröffentlicht wird.
Frankfurt a. M., den 10. Februar 1959
gez. Dr. Wilhelmi, Präses
Vorbemerkung der Anwälte
Die Rede, die Kirchenpräsident D. Niemöller am 15.Januar d. J. in Kassel gehalten hat, wurde auf Tonband genommen. Lediglich nach den ersten fünf Sätzen weist das Tonband eine Lücke auf. Diese ist im nachstehenden Text an der gekennzeichneten Stelle von Kirchenpräsident D. Niemöller aus seiner Erinnerung ausgefüllt worden. Wir erklären, daß nachstehender Text bis auf die erwähnte und gekennzeichnete Ergänzung wörtlich mit dem Tonband übereinstimmt. Berichtigt wurden ohne Sinnveränderung lediglich vereinzelte offensichtliche Sprechfehler. Keinerlei Änderung erfolgte an den Stellen der Rede, auf welche Bundesverteidigungsminister Dr. h. c. Franz lose[ Strauß seinen Strafantrag gegen Kirchenpräsident D. Niemöller glaubt stützen zu können.
Wir halten das Tonband in Verwahr und werden es dem Gericht zu gegebener Zeit zur Verfügung stellen.
Essen, den 10. Februar 1959
Dr. Dr. Gustav W. Heinemann
Rechtsanwalt und Notar
Dr. Diether Posser
Rechtsanwalt
SIE WISSEN, WAS SIE TUN!
Meine Damen und Herren, liebe Freunde!
Denn sie wissen, was sie tun. Das ist das Wort, das über dieser Feierstunde ungeschrieben stehen soll. Und ich denke, aus dem, was wir von Herrn Professor Hagemann gehört haben, bleibt die Frage quälend übrig: Wissen sie wirklich, was sie tun? Ich erinnere mich an eine kleine Geschichte, die bei uns im Konzentrationslager während des Krieges erzählt wurde. Ein Vater steht mit seinem kleinen, fünfjährigen Töchterchen vor dem Globus und das Töchterchen hat einiges gehört und fragt nun an dem Globus: „Vater, wo ist Deutschland?“ Der Vater zeigt ihr Deutschland, das kleine Fleckchen auf dem Globus, und dann – auf weiteres Fragen – das englische Empire, Rußland und die Vereinigten Staaten. Darauf das Kind, ganz erstaunt: „Du, Vater, weiß denn der Führer das?“ – Ich denke, wir stehen unter einem ähnlichen Eindruck nach dem, was wir heute abend gehört haben über die Entwicklung der nuklearen Massenvernichtungsmittel: Wissen die Führer das? –
Wir sind doch alle über dieser Frage unruhig geworden, nachdem hier die Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki mit ihren furchtbaren Auswirkungen schon wieder einmal aus dem Dunkel der Vergangenheit für unser Bewußtsein hervorgeholt worden sind. Und die Verantwortung, die auf den Führern von heute liegt, steht vor unseren Augen riesengroß da. Meine Freunde, wichtiger ist die Frage, andringender is die Frage: Wissen wir, was wir tun? Wissen wir, was wir in dieser Situation tun? Wir, ja, die wir heute abend unter der Marke stehen: „Christen gegen Atomgefahren.“ Wissen wir wahrhaftig, was wir tun? Wir tun ja gar nichts. Wir geben alle paar Jahre einmal unseren Stimmzettel ab, und vielleicht gehen wir auch noch mal das eine oder andere Mal in eine Versammlung wie die, die am heutigen Abend stattfindet. Und was machen wir dann weiter, und was machen unsere Kinder, unsere heranwachsenden Söhne? Wie geht eigentlich das alles weiter7 Oder sind wir wahrhaftig Leute, die gar nichts tun? Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden, weil sie sich zur Schlachtbank führen lassen, obgleich sie nicht den Strick um den Hals zu haben brauchten? Der Christ und der Krieg – das ist doch das geheime Thema, das hinter dem allen steht. Wie stehen wir als Christ zu dem Krieg, ja, von dem wir jetzt endlich wissen, wie er im Endeffekt aus’sieht7 Ich brauche nicht noch einmal zurückzukommen auf das, was Professor Hagemann gesagt hat, denn die theologische Theorie sieht ja in der evangelischen Christenheit ganz genau so aus wie in der katholischen Kirche. Um die Frage der Rechtfertigung aus dem Glauben, um die Frage nach der Bedeutung der Werke im Leben für das Leben des Christen, jawohl, da gibt’s die tiefen Unterschiede. Aber in den Dingen, die uns ans Leben greifen, unmittelbar ans Leben greifen, und damit an unsere Verantwortung für die, deren Leben mehr oder weniger in unsere Hände gelegt wird, da gehen wir den alten Trott; da ist Martin Luther der gelehrige Schüler des heiligen Augustin und der mittelalterlichen Scholastik und des Scholastizismus; da ist die Rede vom gerechten Krieg und vom ungerechten Krieg; aber den ungerechten Krieg, wer will den heutzutage noch feststellen, wenn jede Obrigkeit behauptet: Der Krieg, den wir führen, ist gerecht? Und da gibt es dann kein Ausweichen mehr, denn das hat sich ja alles gegenüber dem 16. Jahrhundert derartig gewandelt und geändert, daß heute schon die Kirche ganz offiziell den Rat gibt: Zerbrich dir den Kopf nicht! Wenn dein Vaterland und dein Volk und deine Obrigkeit einen Krieg führen, und du kannst es nicht herauskriegen, weshalb und weswegen, dann bist du am sichersten, wenn du dem Ruf und dem Befehl der Obrigkeit folgst! –
Man weiß es heute wirklich nicht mehr, nicht wahr, denn inzwischen hat sich Diplomatie ja dazwischengehängt. Professor Hagemann sprach von der Propaganda. Wer weiß denn noch, was wirklich geschieht? Wer weiß denn in Kassel, was vorgestern nacht tatsächlich in der Justizdebatte im Bundestag vorgegangen ist? Es ist leider nicht mit Radio verbreitet worden, sonst würden wir heute abend hier sitzen mit dicken und roten Köpfen, daß eine Regierung kein Wort mehr antworten kann, wenn der leitende Minister der auswärtigen Angelegenheiten angeklagt wird vor den gewählten Volksvertretern, daß er eine berechtigte Klage eines seiner Untergebenen, die er jahrelang hin, gehalten hat, so abzudrehen versucht, daß er diesem Untergebenen nicht nur einen, sondern drei Botschafterposten zur Auswahl anbietet, wenn er bloß seine Klage zurückzieht! Freunde, wo sind wir eigentlich hingeraten? Das sage ich nicht als Politiker, ich bin keiner, sondern das sage ich als ein Mensch, der als Christenmensch gewisse Begriffe von Anstand und Sitte und Sittlichkeit mitbekommen hat. Ich habe mal einen Kameraden gehabt, das ist nun allerdings in der „verfluchten“ alten Zeit gewesen vor 1914, dessen Vater hatte Militärlieferungen gehabt, und irgendetwas war anscheinend nicht ganz klar. Der Sohn war Offizier, der Sohn mußte verschwinden, denn das ging nicht, daß auch nur der Schein eines Verdachtes auf jemandem ruhte, der im Namen des Volkes ein Amt zu verwalten hatte. Und wenn man schon um solche Dinge Solche Sachen macht, was wird man dann erst machen, um einen Krieg, den man führen will, als gerechten Krieg zu deklarieren? Keine Regierung hat seit 300 Jahren einen ungerechten Krieg geführt. Erst nach dem Kriege wurde festgestellt, daß der Besiegte natürlich im Unrecht gewesen war. –
Vor 300 Jahren, da gab es auch noch keinen Wehrzwang. Wir reden von der Wehrpflicht. Über die Wehrpflicht läßt sich streiten, denn das ist ein Problem, wie weit ein Staat das Recht hat, seine Bürger dazu zu zwingen, andere Leute zu töten. Ein echtes Problem! Aber jedenfalls, wir haben nun seit 150 Jahren den Zwang, daß jeder, der dazu nicht bereit ist, nun, wenn’s gnädig abgeht, im Frieden ins Gefängnis oder im 3. Reich ins Konzentrationslager oder im Krieg aber an die Wand geschickt und gestellt wird. Und das ist auch eine Frage, die mitspricht bei der Frage, ob wir wissen, was wir tun, und ob wir’s wohl wissen wollen, was wir eigentlich tun. Wenn ich Unrecht tue unter Zwang, dann will ich ja gar nicht wissen, daß ich Unrecht tue, sonst wär’s ja nicht auszuhalten. – Hier war die Rede von den gerechten Mitteln, die im Kriege angewandt werden müssen. Nun, wir haben dieser Theorie längst den Abschied gegeben, seitdem der General Ludendorff uns im ersten Weltkrieg den totalen Krieg vordemonstrlert und dann aufgenötigt bat; und da sind eben die Mittel total, d.h. jedes Mittel ist recht, catch as catch can. Jedes Mittel, womit man seinen Gegner kleinkriegen kann, kann angewandt werden. Und darum ist heute die Ausbildung zum Soldaten, die Ausbildung der Kommandos im zweiten Weltkrieg, die Hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden. –
Und die Kriegführung als solche hat sich geändert. Es bedeutete mal der Krieg: Wir wissen nicht, wer in dieser Streitfrage nachgeben müßte, und damit wir das feststellen, stellen wir mal fest, wer der Schwächere ist. Und wenn man festgestellt hatte in einem Feldzug, wer der Schwächere war, dann wurde der Feldzug mit Friedensverhandlungen beendet, und der Schwächere, der Unterlegene, mußte nachgehen. Wie weit, nun darüber sprach man mit ihm, und wenn er nicht ganz so weit nachgeben wollte wie der Sieger, es ist mehrfach passiert, es ist uns 1870 so passiert, dann wurde der Kampf noch einmal wieder aufgenommen, um endgültig festzustellen, wer der Schwächere ist. Davon ist heutzutage keine Rede mehr. Der Krieg selber ist ja total geworden, in seiner Zielsetzung. Man will ja gar nicht feststellen, wer der Schwächere ist, sondern man will den, der sich als der Schwächere erweist, umbringen und ausrotten. Es soll ja um die Existenzfrage gehen. Wenn Amerika und Rußland miteinander Krieg führen würden – sie werden’s nicht tun, Gott sei es gedankt -, dann hat der Krieg Ja bloß einen Sinn, wenn nach dem Kriege bloß noch die Amerikaner oder bloß noch die Russen da sind sonst hat der Krieg ja seinen Zweck verfehlt und hat die Koexistenzfrage nicht gelöst, und dann ist nach dem Kriege gar nichts besser, als es vorher war. –
Wissen wir, was wir tun, wir Christen, wenn wir uns an der Vorbereitung, an der Rüstung zum Kriege beteiligen, wenn wir heutzutage noch Soldat spielen oder mit uns Soldat spielen lassen? Heute, wo wir wissen: Die kirchliche Lehre ist eine reine Theorie, und die Bücher, in denen sie dargeboten wird, sind nicht mal mehr wert, aufgeschlagen zu werden. Wissen wir, was wir tun? 1914 – ich denke an jene Zeit, ich war damals 22jähriger junger Berufsoffizier, als wir mit Begeisterung damals im August an unser Kriegswerk gingen, weil wir noch daran glaubten, daß das höchste Heil und das Letzte im Schwerte läge und daß die Verteidigung des Vaterlandes und die Ehre der Nation es erforderten, daß man sein Leben dafür einsetzte; 1939 wars schon anders. Da war jedenfalls von der Begeisterung, die wir 1914 gekannt hatten, für den Betrachter nicht mehr sehr viel zu merken, oder man mußte schon nicht begeistert, sondern fantasiert sein. Immerhin, damals haben sich Christen Gedanken gemacht, liebe Freunde. Es gab eine Bekennende Kirche, die im Jahre 1938 in der Tschechenkrise alle Pfarrer im Lande bat, sie möchten öffentlich sonntags im Gottesdienst doch Fürbitte halten für die Erhalt des Friedens. Und sie wurden, natürlich wurden sie, und bald wird es wieder bei uns so sein, als potentielle Kriegsverbrecher, nämlich als Landesverräter, hingestellt, und die evangelischen Bischöfe sagten sich von den Pastoren, die das machten, feierlich los. Aber dann hat es kaum noch ein Gebet für den Sieg gegeben. Wir stehen nach dem zweiten Weltkrieg und nach dem, was seither bei uns geschehen ist und geschieht, eigentlich alle in der Haltung: Wir können unsere Stimme abgeben bei einer Wahl, weiter können wir gar nichts tun, und im übrigen müssen wir hinnehmen, was kommt. Im Ernstfall kann man sich solch einer Geschichte, auch wenn es Krieg gibt, natürlich entziehen. Wir sind alle die Leidtragenden, und wenn wir gemustert werden, dann müssen wir halt mit, und dann müssen wir, auch wenn es uns nicht gefällt, mit den Wölfen heulen. –
Meine Freunde, es ist wohl Zeit für uns Christenmenschen, daß wir uns wecken lassen.
Denn im bezug auf den Krieg haben wir nicht nur während des ersten Weltkrieges und die 300 Jahre vorher, sondern auch noch im zweiten und auch noch jetzt in der Pause, in der wir gerade drinstehen, geschlafen. Wir beruhigen uns und haben unsere Opiate, die Pillen, die wir zu unserer Beruhigung und Einschläferung nehmen. Wir sagen uns: Wir leben in einer Welt der Sünde, wir machen ja den Krieg gar nicht. Aber eines Tages ist er da. Und was soll man dann tun, wenn der Krieg da ist? Dann kann man sich ja dieser Geschichte gar nicht‘ entziehen. Vielleicht sagen wir noch: Jawohl, mitmachen wäre Sünde, aber wäre nichtmitmachen dann nicht eine noch schlimmere Sünde? Und was die Kirche gesagt hat seit 1945, hat ja uns alles nicht viel weitergeholfen. Auch was die evangelischen Kirchen gesagt haben: Etwa auf der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam im Jahre 1948: „Krieg ist gegen den Willen Gottes.“ Nun ja, das ist viel gesagt und ist gar nichts gesagt. Mord ist auch gegen den Willen Gottes.
Aber damit, daß ich das feststelle und Morde nicht verhindere, habe ich eben noch gar nichts getan. –
Oder Eisenach im Jahre 1948, als die Evangelische Kirche in Deutschland zum ersten Male wieder zusammenkam mit ihrer Synode nach dem Kriege: „Auf der Gewalt ruht kein Segen“; einstimmig angenommen! Und ich weiß nicht, wie viel Leute, die in Eisenach dabei waren, haben nicht nur im Bundestag für die Aufrüstung mit der Bundeswehr, sondern auch für die atomare Aufrüstung im vergangenen März ihre Stimme abgegeben. „Auf der Gewalt ruht kein Segen“: aber her mit der Gewalt, wir brauchen keinen Segen! Sehen Sie, liebe Freunde: Wissen wir eigentlich, was wir tun und was wir tun sollten? Und die Dinge sind ja zugespitzt in unseren Tagen, in einer besonderen Weise zu all dem, was wir früher gekannt haben; auch noch Hiroshima und was darauf folgte, bis zum Jahre – ja, bis zum Jahre 1954, gilt ja heute so nicht mehr. Und vielleicht darf ich hier ein paar Dinge noch ergänzen oder schärfer unterstreichen, als wir sie von Professor Hagemann heute abend vorgesetzt bekommen haben. Zwei Dinge sind hinzugekommen; das eine habe ich schon genannt: Wenn heute ein Krieg losbricht, dann geht es nicht darum, wer der Schwächere oder Stärkere ist, damit man sich hinterher vergleicht und einen Friedensvertrag macht. Wenn Amerika gegen Rußland kämpft, will Amerika nicht einen Friedensvertrag mit Rußland haben. Und umgekehrt. Sondern dann will man, daß der andere verschwindet. Dann hat man das totale Kriegsziel, d.h. dieser Krieg hat bloß noch einen Sinn, in den wir hineinsteigen und hineingestürzt werden, wenn er damit endet, daß entweder der Kapitalismus und die dementsprechende sog. christliche Weltanschauung weg ist oder aber, daß der Sozialismus mit der bolschewistischen Weltanschauung weg ist.
Sonst hat der ganze Krieg überhaupt keinen Sinn, keinen denkbaren Sinn. Das wußten wir schon eine Weile; das hat sich schon seit 1947 sehr deutlich gezeigt, als der eigentliche Gegensatz aktiviert wurde zwischen den beiden verbleibenden Großmächten. Und dann kam ein Jahr, und, meine Freunde, dieses Jahr, davon werden die Menschen reden, so lange es eine Menschheit auf dem Globus gibt, das ist • nämlich das Jahr 1954, das Jahr, wo auf beiden Seiten dieses Gegensatzes, die erste Wasserstoffbombe detonierte. Das Jahr, in dem der Mensch plötzlich vor der Tatsache stand, daß er etwas kann, woran vor 1954, so lange es Menschen auf der Erde gegeben hat, Millionen von Jahren, noch niemals ein Mensch als eine Möglichkeit gedacht hat. Seit 1954 können Menschen nicht nur andere Menschen umbringen; das konnten die Menschen immer, solange es Menschen gab; seit 1954 können Menschen das Leben auf der Erdoberfläche umbringen. Das heißt, seit 1954 können die Menschen die Erde so machen, wie es in 1. Mose 1, Vers 1, geschrieben steht: Und die Erde war wüst und leer. Das können wir. Und das ist keine Theorie, an der jetzt noch die Techniker arbeiten müßten, um sie in die Praxis zu übersetzen, sondern Professor Linus Pauling, der im vergangenen Sommer uns in Essen besucht hat und dort vor der IdK einen Abendvortrag gehalten hat, der Nobelpreisträger aus Pasadena, von der Universität von Californien, er hat es uns bescheinigt, daß die nuklearen Explosivstoffe, die heute im Westen und im Osten, d.h. in Amerika und in Rußland, vorhanden sind, schon viermal ausreichend sind, um alles Leben auf, der Erdoberfläche zum Erliegen zu bringen. Und von daher ist es ja alles Spiegelfechterei, wenn man davon redet, man müßte das Gleichgewicht der Abschreckung, das • Gleichgewicht der Kräfte zwischen Ost und West aufrechterhalten. Das Gleichgewicht der Kräfte ist seit 1954 oder 55 da. Das war nämlich da in dem Augenblick, wo sowohl Amerika wie auch die Russen die Möglichkeit hatten, alles Leben zu vernichten. Professor Hahn hat es uns gesagt, Anfang 1955: Zehn Kobaltbomben, Wasserstoffbomben mit Kobalt-60-Mantel, die tun das Geschäft. Also, wenn die Amerikaner 10 solcher Dinger haben und die Russen auch, dann ist alles weitere Rüsten im Grunde ein Unsinn und ein Wahnsinn, denn mehr als das Leben auf der Erde vernichten kann man mit allem weiteren Rüsten nun tatsächlich nicht mehr. Wissen wir, was wir tun? Und hier fragen wir wieder: Wissen die denn, was sie tun? Ich persönlich bezweifele, daß sie’s wissen, was sie tun. Ist doch bloß zu erklären, wenn man sich vorstellt, daß bei denen, vorübergehend, aber eine außerordentlich wirksame Mattscheibe eingetreten ist. Aber Mattscheiben sind gefährliche Dinge, wenn sie mitten im Verkehr passieren. Und dann kann es leicht Karambolage und. Zusammenstoß und alldergleichen Dinge geben, und so eine Mattscheibe hat gewöhnlich auch ihre Ursache. Professor Hagemann hat hier etwas von Rüstungskapitalismus und Rüstungsindustrie gesagt. Ich brauche das nur anzudeuten. Ich brauche gar nicht weiterzufahren. Vor vier Jahren hat man mir in Amerika gesagt: Wir können ja gar nicht aufhören zu rüsten, wo soll man mit den Arbeitslosen denn bleiben? Das ist hinter unserem Wirtschaftswunder. Meine Freunde, wissen wir, was wir tun? Und jetzt könnte ich meine alte Platte wieder auflegen und könnte davon reden, welche unvorstellbaren Summen heute in die Rüstung gesteckt werden – die NATO-Kosten wurden uns heute abend ja mal ad oculos demonstriert – und dann haben wir über die Hälfte der Menschheit, die hungert und die nicht genug Kapital hat, um ihre Agrikultur und ihre Industrie so auszubauen, daß sie den allernotwendigsten Lebensbedürfnissen für ein Existenzminimum wirklich Genüge tut, und wir nennen uns „christliche Welt“! Wir wissen heute: Der Krieg ist Wahnsinn; und er wird immer Wahnsinn heißen; auch das hat uns Professor Hagemann ja gesagt, Man kann ja nicht mit der sogenannten abgestuften Abschreckung arbeiten, denn im Augenblick, wo einer von den beiden Kontrahenten sich als unterlegen erkennt, stuft er ja auf, und selbstverständlich stuft er auf. Und wenn es heißt, man darf bloß Bomben verwenden in der Größe derer von Hiroshima und Nagasaki, und einer merkt, jetzt geht’s mir aber ans Leben, nun schön, dann baut er eben die Wasserstoffbombe, damit’s dem andern auch ans Leben geht. Ganz abgesehen davon, daß er die 10 Kobaltbomben für alle Fälle im Keller liegen hat, damit er, wenn er schon Selbstmord begehen muß, diesen Selbstmord nicht allein zu bestreiten hat, sondern dann den Rest dieser – wie ein Philosoph gesagt hat – „verdammten Rasse“ auch noch mit sich nehmen kann. Es gibt kein Zurück mehr, liebe Freunde. Wissen wir, was wir tun? Augenblicklich wird verhandelt; es ist gut, wenn verhandelt wird. Verhandeln ist sogar das einzige, worauf wir augenblicklich hoffen können; denn solange verhandelt wird, wird nicht geschossen. Aber herauskommen kann bei dem Verhandeln gar nichts Die Experimente werden eingestellt. Jawohl, sie werden es mit Verhandlungen oder ohne Verhandlungen – irgendwo wird das Maximum erreicht dessen, was die menschlichen Versuchskaninchen an Radioaktivität vertragen können. Sie hören von allein auf. Der atomare Krieg wird nicht kommen. Aber die atomare Drohung ist da.
Es liegen da 30 Kobaltbomben in Amerika fertig und 10 oder 12 in Rußland. Die Russen sind nämlich klug genug, nicht mehr zu bauen, als nötig ist. Alles das ist da. Und nun können die Verhandlungen dahin führen, daß man sagt: Schön, internationale Kontrolle. Alle atomaren Waffen werden wieder in ihre Urbestandteile zurückzerlegt.
Das ist gar nicht so einfach. Es ist manchmal leichter, so eine Bombe zu konstruieren, als sie wieder zu demontieren. Wie’s manchmal leichter ist, einen Blindgänger zu werfen, als den Blindgänger hinterher loszuwerden. Also, eins wird‘ die Menschheit ja nie wieder los, und das wird gerne von den Illusionisten von heute übersehen: Wir Menschen werden die Kenntnis daß wir nämlich ein Vernichtungsmittel bauen können, womit wir die ganze Welt vom Leben befreien können, nicht los. Und diese Kenntnis ist auch keine Geheimwissenschaft. Und die Chinesen werden, ob die Russen ihnen die Dinger geben oder nicht, in fünf Jahren so weit sein, daß sie ihre eigenen Wasserstoffbomben bauen, auch wenn die westlichen und östlichen Mächte das gar nicht wollen. Das heißt, die Sache ist sehr viel ernster im Grunde, als wir sie so in den Zeitungen sehen. Wir meinen, wenn die Russen und die Amerikaner sich einigen, dann wäre alles in Ordnung. Und auf diese ganze Art und Weise, daß man abbaut, abbaut, abbaut, kommt man auch nicht in Ordnung, denn davon kommt die Menschheit nicht in Ordnung. Und darum geht es. Und darum geht es ja gerade für uns Christen. Wissen wir denn, was wir tun? Der Krieg ist in jedem Fall Wahnsinn geworden. Weil in jedem Krieg, in verhältnismäßig naher Zukunft, eben diese alles zerstörenden Dinge auftauchen werden, weil wir die Formel nicht los werden können und weil die kleinen Kriege zu großen Kriegen werden müssen, weil ja Krieg schließlich geführt wird, um einen Schwächeren kleiner zu machen, und weil der Schwächere dann zu den schärferen Abwehrmitteln greift, naturnotwendig greift, das heißt: Die Lösung wird faktisch immer schwieriger. Der Friede wird schwer. –
Also, seit 54 können wir etwas. Meine Freunde, seit dem Jahre 1954 hat die Menschheit etwas, was als Wolke über ihrem ganzen ferneren Lehensweg, wie lang der immer sein mag, hängen wird. Wir können das Leben vernichten. Das Leben, alles Leben schlechthin. Und mit dem Jahre 1954 hat sich infolgedessen die Welt verändert. So verändert, ja, wie das uns Menschen erst langsam eingeht. Alles das, was wir früher in Zusammenhang mit Gewaltanwendung gedacht haben, gilt nicht mehr. Als der Steinzeitmensch sich vor seine Höhle stellte, um seine Frau und Kinder und das, was er in der Höhle etwa an Beute oder an Werkzeugen als sein Eigentum hatte, gegen einen Angreifer zu verteidigen, und der nun einen Stein vom Boden aufhob, um seiner Faust wenn sie die Schädeldecke des Angreifers traf, größere Durchschlagskraft zu verleihen – das war ja die erste Waffe -, da hat dieser Steinzeitmensch über Verteidigung, über Walle, über Krieg und über Frieden genau das gleiche gedacht, was wir alle darüber gedacht haben. Bis zum Jahre 1954. Verteidigung, das hieß: Ich stelle mich vor die Meinen und vor mein Eigentum, ich stelle mich vor mein Volk und vor mein Land und lasse den Angreifer nicht rein. Nur über meine Leiche! Das war Verteidigung, bis 1954. Gibt’s nicht mehr. Ist nichts zu verteidigen. Wenn einer 10 Kobaltbomben hochgehen läßt, wird niemand gefragt, was er verteidigen will dagegen. Und wie er das machen will. –
Bis zum Jahre 1954 haben alle Menschen durch Jahrmillionen das gleiche gemeint, wenn sie das Wort und den Begriff Waffe verwendeten. Seit 1954 gibt’s das auch nicht mehr. Denn diese Waffe, die 10 Kobaltbomben, sind keine Waffe mehr. Sie richtet sich nicht und läßt sich nicht richten gegen den Feind. Sie richtet sich immer auch gegen den, der sie gebraucht, und gegen alle anderen. Wir bekommen den Vorgeschmack davon durch die Bombenexperimente, an denen deutlich wird, daß das, was sich der Höhlenzeitmensch unter Frieden vorgestellt hat und was sich der Mensch bis zum Jahre 1954 unter Frieden ‚vorgestellt hat, auch nicht mehr stimmt. Friede ist kein Friede mehr. Professor Pau!ing hat uns berichtet, daß jede Wasserstoffbombenversuchsexplosion 15.000 Menschenleben kostet und außerdem 15.000 Mißgeburten in der gegenwärtigen Generation. Professor Bechert hat uns wenige Wochen später mit der Nachricht überrascht, daß die Einwirkungen auf die Erbmasse der Menschen und die Vererbung. an Kinder und Enkel, daß diese Einwirkungen, diese Erbschäden, sich progressiv weiterentwickeln durch die Zeiten und daß sie ihren Höhepunkt erst erreichen in 30 oder 40, nicht etwa Jahren – Generationen! Wir haben gemeint, die Hiroshimahombe hätte den zweiten Weltkrieg beendet. Stimmt gar nicht. Sondern für die Leute von Hiroshlma und für die Leute von Nagasaki geht der Weltkrieg 800 bis 1000 Jahre weiter, wenn da noch Nachkommen von den Bewohnern von Hiroshima und Nagasaki da sind. Kein Mensch kann das abbremsen. Wir nennen das Frieden. Aber der Frieden ist kein Frieden mehr. Sondern der Frieden ist, ja, Krieg gegen Unbekannt. Aber das ist ja auch kein Krieg mehr, sondern das ist ja nun wirklich Massenmord und Massenselbstmord; d.h. wir müssen unser ganzes Denkkostüm umwenden Außen nach innen und innen nach außen.
Soweit Verteidigung und Waffe und Frieden und Krieg in Frage kommen, haben Menschen Millionen von Jahren sich darunter das selbe vorgestellt, und alles das stimmt nicht mehr. Sie wissen, was sie tun. Nein, ich glaube eben, ich sprach von einer Mattscheibe, ich hab ja selbst eine, mir sind diese Dinge vom Jahre 54 erst im Jahre 57 wirklich deutlich geworden Und ich glaube, wir brauchen uns dessen auch nicht zu schämen, daß es schwer ist für uns, Denkgewohnheiten abzulegen, die durch Hunderttausende von Generationen in unseren Vorvätern normal natürlich gewesen sind, und das ist meine leise Hoffnung. Bei dem einen geht’s langsam und beim andern geht’s ein bißchen schneller. Aber so groß sind diese Unterschiede nun wirklich nicht, und es ist immer noch Hoffnung da. Bloß, wenn einer nicht umlernen will, dann wird’s gefährlich. Wenn man die Wirklichkeit nicht sehen will, dann wird es schlimm. Sie wissen, was sie tun? Ich gebe auch unseren Politikern, ich gebe auch unserem Verteidigungsminister im Bund immer noch, ja, diesen Vorschuß an Vertrauen, daß sie sehen wollen, was ist. auch wenn sie’s heute noch nicht sehen können. Nicht wahr, denn ein Mann wie der Verteidigungsminister, nun ja, das war ein hochbegabter Schüler, und dann hat er etwas studiert, und dann kam der Krieg, und dann wurde er begeisterter Offizier und ist niemals etwas anderes gewesen. Nachher, bei der Besatzungsmacht dann wurde er Landrat, ist ihm alles gelungen und geglückt; wie soll der auf die Idee kommen, so plötzlich, daß diese ganze schöne Welt, die für ihn so gerade gelaufen ist bis zum heutigen Tage, daß die irgendwo ganz tief innen den Holzwurm hat, der das Gebälk zerfrißt? Sich an den Gedanken zu gewöhnen, ja, dazu gehört dann mehr Aufgeschlossenheit, als ein junger Mann mit seinem, ja, mit seinem Optimismus so ohne weiteres aufbringt. Aber wir wollen ja nicht daran verzweifeln, sondern wollen darauf hoffen, daß auch die Leute, die uns augenblicklich führen, noch dazulernen können. Und das meine ich auch von unserem Bundeskanzler. Denn man wird nie so alt, daß man nicht noch dazulernen dürfte und müßte. Ja, ich bin oft gefragt worden, liebe Freunde, ich sage das mit Bedacht: Sie sind ein ganz charakterloser Mensch, Sie sind ja früher Militarist gewesen und Nationalist gewesen, und jetzt sind Sie Pazifist und womöglich auch noch Sozialist oder so etwas! Ich kann darauf nur antworten: In eine Partei bin ich nicht reingegangen. Mein Beruf als Pastor hat mich eigentlich daran gehindert, aber, daß ich meine Überzeugung in meinem Leben geändert habe – ich glaube nicht aus Charakterlosigkeit, sondern weil ich was dazugelernt habe -, dessen schäme ich mich nicht. Wir sind eben an einem Ende angelangt, das Jahr 1954 bedeutet irgendwo ein Ende. Und das zu begreifen, sich das einzugestehen, ist einmal ein Stück Denkarbeit und zweitens ein Stück Selbstüberwindung. Und das geht uns Christen ja wohl in erster Linie eigentlich an, daß wir zu dieser Selbstüberwindung willig sind und werden. Aber eine Überlegung, liebe Freunde, und mit der will ich schließen, eine Überlegung, die unser Christsein in der Tiefe angeht: Ich sprach von dem Höhlenmenschen, der den Stein aufhebt, die erste Waffe. Und ich sprach vom Jahre 1954 und den 10 Kobaltbomben, die ausreichen, um alles menschliche und alles übrige Leben auf der Oberfläche unseres kleinen Planeten nun zu begraben. Von dem Stein in der Hand des Höhlenmenschen bis zu 10 Kobaltbomben im Pentagon – Keller oder im Kreml-Keller von heute ist doch wohl ein ständiger Weg, der Schritt für Schritt in ein und derselben Richtung zielsicher gegangen worden ist. Die erste Waffe trug in sich schon die Frage: Kannst du mich nicht noch wirksamer gestalten? Und der Höhlenmensch erfand seine Schleuder und konnte den Stein mit der Schleuder wirksamer machen, als wenn er bloß den Stein in die Faust nahm. Und die Geschichte des technischen Fortschritts ist, wie wir alle wissen, die Geschichte der Waffentechnik, und zwar von den Urzeiten menschlicher Zivilisation an. Und diese Waffentechnik, die unter der Frage stand: Wie kann ich mir eine wirksamere Waffe für den Fall, daß ich einen Feind habe, mit dem ich zum gewaltsamen Auseinandersetzen komme, wie kann ich mir eine möglichst wirksame Waffe verschaffen? Diese Frage hat die Waffentechnik entwickelt und regiert. Und das Ende heißt: 10 oder 40 Kobaltbomben. Der Anfang heißt: Wie kann ich mein Leben sichern gegenüber meinem Feind?, und das Ende heißt: Ich kann mit meinem Feind nur fertig werden, indem ich mich selber auch fertig mache, und den Rest dazu! Meine Freunde, wenn das die logische Folge der Gewaltanwendung unter Gottes Menschengeschöpfen ist – und das ist die logische Folge, das muß man einfach zugeben, denn wo hätte es sonst hingehen sollen, der Mensch wäre ja nie zufrieden gewesen, bis er nicht ein Zerstörungsmittel hatte, mit dem er alles kaputtmachen kann -, wenn das das Ergebnis ist, dann werden wir Christen, und jetzt darf ich mal so sprechen, wir Christen – und ich meine auch nicht nur die evangelischen, ich meine auch die katholischen unter uns – doch wohl die Frage an uns selber richten: Wenn dies das Ende ist, ist dann der Weg zu diesem Ende hin ein richtiger, ein rechter Weg gewesen? Oder ist nicht der ganze Weg falsch gewesen, weil er nämlich zu diesem Ende führt? Ich habe mir diese Frage vor 21/2 Jahren sehr ernsthaft vorgelegt und bin dadurch bewogen worden, mein Neues Testament noch einmal sehr gründlich anzusehen auf die Frage hin: Wie soll sich eigentlich der Mensch gegen seine Feinde und sein Volk gegen die Feinde des Volkes wehren? Ich bin aufgewachsen als Nationalist und als Militarist, das war damals anständig, das galt als christlich, und dabei hatte man ein gutes Gewissen. Nicht wahr, die Papua auf Neu-Guinea haben kein gutes Gewissen, so lange sie nicht den ersten Skalp und Schädel des ersten von ihnen erlegten Gegners am Gürtel tragen? Das Gewissen kann sonderbare Inhalte haben. Die Christenheit hat seit dem Kaiser Konstantin bis zum ersten Weltkrieg, bis zum zweiten Weltkrieg und vielfach bis heute mit einem guten Gewissen gelebt. Das Vaterland ist in Gefahr, da ist es gar keine Frage: Jetzt wird zur Waffe gegriffen und das Vaterland wird verteidigt. Was man sich darunter vorgestellt haben mag, na ja, hinterher heißt es Heldentafel. Und wenn man den ganzen Dreck gesehen hat, dann weiß man, wie der Mensch sich in der Gewaltanwendung zwischen Menschen selber geschändet hat, noch und noch, und daß das bloß aus der Entfernung nachher dann besser aussieht, wenn dies schöne Dokument kommt: Ihr Sohn ist auf dem Felde der Ehre gefallen! Liebe Freunde, wir Christen haben gemeint, das wäre alles in Ordnung. Und es hat zwei Weltkriege gebraucht, und jetzt braucht es den Schock des Jahres 1954, um selbst einen Theologen, und ich bin ja einer inzwischen geworden, einen Theologen mal endlich auf die Fährte zu setzen, daß er sich fragen muß, nicht: Was sagt der heilige Augustin?, und nicht: Was sagen die mittelalterlichen Scholastiker? und auch nicht: Was sagt der gute Vater Martin Luther? – denn der ist auch nicht unfehlbar -, sondern daß wir fragen: Was sagt denn eigentlich Gott, und zwar der lebendige Gott, der lebendige Gott, der der Vater Jesu Christi ist, denn das ist ja der einzige lebendige Gott, den wir kennen? Deshalb wird Gott ja Mensch in Jesus Christus, damit wir ihn kennenlernen, ohne den kennen wir ihn ja gar nicht. Was sagt also Gott in diesem Propheten von Nazareth, von dem hinterher deutlich wird, daß er nicht einer von den Propheten ist, sondern daß er der geliebte Sohn des Vaters ist? Was sagt der darüber? Und mir ist jetzt erst, und dessen schäme ich mich, und zugleich bin ich dankbar dafür – schämen tue ich mich, daß es so spät kam, und dankbar bin ich dafür, daß es nicht zu spät kam, daß ichs noch mitgekriegt habe -, daß dieser Jesus ja mit der Gewaltanwendung zwischen Menschen nichts zu tun haben will und daß dieser Jesus sein Erlösungswerk ja nicht dadurch betreibt, daß er seine Feinde mit Gewalt annimmt und übermag, sie überwältigt, sondern ja gerade so, daß er sich von ihrer Feindschaft und von ihrem Haß überwältigen und umbringen läßt, ohne sich dadurch selbst zur Feindschaft und zum Haß bewegen zu lassen. Wenn Jesus spricht: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden – der Mann, der ans Kreuz geht, hat die Welt überwunden, nicht mit Gewalt und nicht mit Waffen und nicht so, wie wir uns die Überwältigung der Welt vorstellen und vorgestellt haben, sondern dadurch, daß er die Menschen, die von der Welt überwunden waren, mit seiner vergebenden Liebe überwunden hat. Das Böse mit Gutem überwinden, das ist eigentlich das, was uns Christen von anderen Menschen unterscheidet oder unterscheiden sollte. Und gerade auf dem Gebiet der Gewaltanwendung haben wir die Wahrheit Gottes, die uns in Jesus Christus vor die Augen gestellt ist und in seinem Kreuz und in seiner Auferstehung, einfach verleugnet. Wir haben tatsächlich so getan, als ob wir privatim Christen sein könnten und als ob wir dann in der Politik und im Völkerleben uns wie die Helden und wie die Verbrecher benehmen dürften und müßten, und daß das dann sogar eine lobenswerte Angelegenheit wäre. –
Meine Freunde, wir sind in einer Mahnstunde, und der Zweck dieser Stunde ist es ja wohl, daß wir uns selber zur Ordnung rufen. Daß wir uns selber zur Ordnung rufen, das heißt, daß wir uns von dem, der unser Herr ist, zur Ordnung rufen und von ihm mahnen lassen. Ich denke an das Wort: „Ihr wißt, daß die weltlichen Fürsten herrschen und brauchen Gewalt, so soll es unter euch gerade nicht sein.“ Wir haben gelebt, als stünde in der Bergpredigt eine Seligpreisung die da aber nicht steht und nach der man vergeblich die ganze Bibel durchblättern kann, nämlich: Selig sind die Starken und Gewaltigen, denn sie werden die Erde erobern. Das gibt es nicht. Sondern da heißt es: Selig sind, die auf Gewalt verzichten; nämlich die Sanftmütigen, denn sie werden, nun nicht das Himmelreich ererben, sie werden das Erdreich ererben.
So steht’s in der Bergpredigt. So hat der Mann aus Nazareth das gesagt und so hat er’s auch wirklich gemeint, und das hat er ja mit seinem Kreuzessterben und mit seinem Gebet „Vater, vergib ihnen, sie wissen ja doch im Grunde nicht, was sie tun“ besiegelt. So hat er die Welt überwunden. So hat er seinen Sieg erfochten. Und auf diese Bahn hat er uns gerufen: So mir jemand nachfolgen will als mein Jünger, der meinen Namen tragen will als ein Christ, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir auch tatsächlich nach und verleugne sich selbst! Sie wissen, was sie tun? Gott gebe, daß sie’s noch nicht wissen. Gott gebe, daß sie es noch zu wissen bekommen. Wissen wir, was wir tun? Gott gebe, daß wir’s zu wissen bekommen, was wir tun sollten, solange wir den Chrlstennamen tragen; und das heißt ja nun tatsächlich wohl – nicht wahr, wir haben so ja verfahren mit unseren Kriegsdienstverweigerern, die müssen nämlich nachweisen, daß sie tatsächlich aus Gewissensgründen nun keinen Kriegsdienst leisten können oder wollen und werden. Für uns Christen gilt das im Grunde nicht, wir sollten wissen, jeder Mensch, der Gewalt anwendet, der muß sich für die Gewaltanwendung, aber nicht für die Verweigerung der Gewaltanwendung vor dem Herrn Jesus Christus als vor seinem Herrn verantworten. Das ist auch für uns, liebe junge Freunde, die wir Christen sein wollen, in der Frage Kriegsdienstverweigerung die entscheidende Frage: Nicht, was da bei dem Untersuchungsausschuß oder dem Prüfungsausschuß passiert, sondern was vorher passiert, ob wir von dem Herrn Jesus tatsächlich das grüne Licht bekommen, den Weg zu gehen, den eine Obrigkeit meint von uns fordern zu können; eine Obrigkeit, die, Gott gebe es, nicht weiß, was sie tut. Wenn sie wüßte, was sie tut, dann dürfte man allerdings nur noch von der Demokratischen Union und ihrer Regierung, aber nicht von einer Christlich Demokratischen Union und ihrer Regierung sprechen. Das ,christlich“ in dem Parteinamen, und wir haben vorhin von Herrn Hagemann gehört, nicht wahr, durch die Bank ohne Ausnahme haben die christlich sich nennenden Abgeordneten für die Atomrüstung gestimmt! Sie wissen nicht, was sie tun. Das hoffe ich zu Gott. Wüßten sie’s, dann müßten sie das Wort ,christlich“ streichen. Wissen wir, was wir tun? Dürfen wir das Wort ,christlich“ führen?, das ist die Frage, die ans dieser Mahnstunde mit uns gehen soll.