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Visionärer Blick und hohe Sachkenntnis

Michael Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung Foto: Mohamad Osman

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Begrüßungsrede zur Verleihung des Julius Rumpf-Preises 2016
an den Arbeitskreis Flüchtlingshilfe in Wetzlar-Niedergirmes am 18.06.2016

 

Wir sind hier heute versammelt, weil es um Menschen, um die Würde von Menschen geht; weil der AK Flüchtlingshilfe geehrt werden soll, dem diese Würde in besonderer Weise am Herzen liegt.

In der Bibel heißt es (Gen 1,27): „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn“. Das gilt für alle Menschen, nicht für bestimmte Völker oder Ethnien. Die in der Gottesebenbildlichkeit gründende Würde gilt uneingeschränkt für alle Menschen – und in besonderer Weise für die, die des Schutzes und der Achtung ihrer Rechte bedürfen. „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten“ heißt es im 3. Buch Mose (19, 33 f). Das Deutsche Grundgesetz speist sich u.a. aus christlichen Wurzeln und sagt in Art. 1 unmissverständlich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Auch hier geht es nicht um die Würde bestimmter Menschen, sondern aller Menschen, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben. Wer vorgibt, um die Werte des christlichen Abendlandes besorgt zu sein, sollte sich diese Textstellen sehr zu Herzen nehmen und sollte auch daran gemessen werden!

Und dann sind sie gekommen, Menschen, deren Würde in ihrer Heimat mit Füßen getreten, mit Maschinengewehren und Fassbomben bedroht und durch Diskriminierung, Verfolgung und Vergewaltigungen entehrt wurde. Sie sind gekommen, weil sie hofften, in Europa, vor allem auch in Deutschland, einem Land, das aus seiner eigenen dunklen Geschichte gelernt hat, einen Ort des Aufatmen-Könnens zu finden. Sie kamen, nicht nur in kleinen, versprengten Gruppen, sondern manchmal in großen Mengen, die Autobahnen als Fußwege nutzend – oder auch in Sonderzügen, weil Politiker ein Einsehen hatten. Und sie wurden in der Regel freundlich begrüßt, von Menschen, die eigentlich nur Menschen sein und dies zeigen wollten, durch kleine Gesten des Willkommens. Manchmal reihten sich sogar Spitzenpolitikerinnen unter diese Begrüßenden. Von späteren Hassparolen, von beinahe täglichen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und Asylbewerberheime wussten sie noch nichts. Sie hofften einfach nur auf eine freundliche und sichere Aufnahme.

Auch nach Wetzlar kamen viele dieser Flüchtlinge. Mehr als 1000 seinerzeit in das große Camp auf dem Gelände der Spilburg, noch einmal beinahe die doppelte Anzahl verteilt auf 38 Orte innerhalb des LDK. Was sollte, was konnte mit ihnen geschehen?

Der AK Flüchtlingshilfe fand eine Antwort. Ausgehend von dem in Niedergirmes sich treffenden Kreis bildeten sich in allen Kommunen und Orten und um das Camp in Wetzlar lokale Arbeitskreise, betreut von und vernetzt durch die ebenfalls ehrenamtlich tätigen Sprecher des AK Flüchtlingshilfe. Durch eine kluge Kooperation mit der Stadt Wetzlar und dem Lahn-Dill-Kreis konnte diese Arbeit auf organisatorisch gesicherte Beine gestellt werden. Diese Arbeit soll heute geehrt und mit dem Julius-Rumpf-Preis in Höhe von 10.000 € ausgezeichnet werden.

Wer war Julius Rumpf? Er wirkte seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als Pfarrer in Wiesbaden, stellte sich sehr klar seit 1933 den Nationalsozialisten entgegen und wurde führender Kopf der Bekennenden Kirche in Nassau-Hessen. Mit Martin Niemöller hielt er intensiven Kontakt. Mit dem Preis, von seinem Sohn Dr. Günther Rumpf und dessen Ehefrau Ingrid gestiftet, soll an den unspektakulären, aber gradlinigen Widerstand von Julius Rumpf erinnert und das Vorbildhafte einer solchen Haltung gewürdigt werden.

Warum hat sich das Kuratorium des Julius-Rumpf-Preises für den AK Flüchtlingshilfe als Preisempfänger entschieden? Wir werden nachher in Interviews mit einigen Anwesenden sicherlich Wichtiges und Unterschiedliches aus ihrer Sicht auf den AK hören. Von Seiten des Kuratoriums des Julius-Rumpf-Preises nur so viel:

Der AK Flüchtlingshilfe überzeugt dadurch, dass er eine breit angelegte, über den ganzen Landkreis verteilte Arbeit leistet und damit vor Ort sehr konkret Flüchtlingen nicht nur beisteht, sondern ihnen hilft, eigene Schritte der Selbstfindung und der Integration zu tun. Die große Zahl der Ehrenamtlichen (ca. 400), die durch die ehrenamtliche Arbeit der Sprecher koordiniert und begleitet wird, ist einfach bewundernswert. Einzelne Aktionen wie Willkommen-Cafés, Ermöglichung von persönlichen Kontakten mit Ortsansässigen, Kurz-Urlaube durch Einladungen nach Hause, Organisieren von Einschulung und Schulunterricht von Kindern, die eigentlich noch nicht beschult werden sollen u.v.a.m. zeigen die kreative und auf die Bedürfnisse des einzelnen Menschen und die Ermöglichung von Außenkontakten ausgerichtete Arbeit des AK Flüchtlingshilfe. Vermutlich spielen der visionäre Blick und die hohe Sachkenntnis des leider schwer erkrankten Harald Würges dabei eine besondere Rolle. Er sagte zu mir mit Blick auf die Flüchtlinge im Camp: „Leben besteht aus mehr als auf irgendetwas zu warten“. Und so hat er, so haben alle anderen ehrenamtlich Mitarbeitenden mit ihm gehandelt und tun es immer noch. Dass diejenigen, die so etwas tun, dass sie manchmal abschätzig mit dem Begriff „Gutmenschen“ tituliert werden, würde ich als Ehre empfinden. Das Gegenteil davon wäre ja „Schlechtmenschen“. Das möchte doch wohl niemand von Ihnen sein.

Wir als Martin-Niemöller-Stiftung, die den Julius-Rumpf-Preis vergibt, möchten mit der Verleihung dieses Preises ein Zeichen setzen (mehr kann es ja nicht sein, aber immerhin): ein Zeichen, mit dem wir sagen: Wir schätzen die Arbeit des AK Flüchtlingshilfe hier in Wetzlar und dem LDK sehr. Wir schätzen die vielfältige, differenzierte und mit Herzblut vollzogene Arbeit dieses mit vielen Ehrenamtlichen und (leider) mit wenigen Finanzen gesegneten Arbeitskreises. Wir haben Hochachtung vor der Bereitschaft, angesichts massiver und z.T. handgreiflich werdender Vorurteile gegenüber Flüchtlingen beharrlich und nachhaltig bei der Sache zu bleiben und dadurch Zeichen zu setzen. Wir bewundern die Kontinuität des Engagements, die sich nicht durch Rückschläge und Misserfolge, auch nicht durch politische und bürokratische Barrieren, auch nicht durch kontraproduktive neue Gesetze entmutigen lässt; die sich zur Wehr setzt gegen den Versuch des Staates, Menschen, die für syrische Flüchtlinge gebürgt haben, nachträglich zur Kasse zu bitten. Wir möchten Mut machen, um der Menschen willen, um die es geht, an dieser Arbeit dran zu bleiben. Sie ist wichtig, für Wetzlar, für den LDK, als Best-Practice-Beispiel für Flüchtlingsarbeit an anderen Orten. Herzlichen Glückwunsch dem Arbeitskreis Flüchtlingshilfe zum Julius-Rumpf-Preis!