von Eberhard Rumpf
Begrüßungsrede zur Verleihung des Julius-Rumpf-Preises 2014 an die Internationale Initiative Hochfeldt (IIH) in Duisburg
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich, Sie als Vertreter der Stifterfamilie begrüßen zu können. Der Preis, den wir heute zum 12. Mal verleihen, wurde 1999 gestiftet vom verstorbenen Dr. Günther Rumpf und seiner Frau Ingrid, die trotz zunehmender Reisemühen anwesend ist.
Stiftung und Preis tragen den Namen des Vaters von Günther Rumpf und sollen etwas von dessen Wirken weitertragen.
Julius Rumpf, 1874 – 1948, war ev. Pfarrer in Hessen-Nassau und von 1921 bis 1938 in Wiesbaden an der zentralen Marktkirche tätig; also in der Zeit von Weltwirtschaftskrise, heraufziehendem und schließlich herrschendem Nationalsozialismus. Er war sozial engagiert, was in den Wirtschaftskrisen-Zeiten eine besondere Herausforderung war; er hatte sich von Beginn seiner Tätigkeit an der Jugendarbeit gewidmet, wurde in Wiesbaden zum ersten bestellten Jugendpfarrer in Hessen-Nassau. Er erkannte, wie andere auch, früh den Unrechtscharakter des nationalsozialistischen Regimes und schloss sich 1933 sofort dem von Martin-Niemöller gegründeten Pfarrernotbund an, aus dem die Bekennende Kirche hervorging; dies war die evangelische theologisch getragene Opposition gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung. Julius Rumpf leitete die Bekennende Kirche in Hessen-Nassau bis zu seiner Zwangspensionierung 1938. Er war ein aufgeklärter und genauer theologischer Denker, die Gebote der Bergpredigt als Essenz des Evangeliums waren ihm strikte Orientierung, sowohl theologisch wie persönlich. Er stellte sich eindeutig gegen den sog. Arier-Paragraphen, der in verschiedenen, schon 1933 erlassenen Gesetzen Menschen nicht-arischer Herkunft aus öffentlichen Funktionen ausschloss: das betraf alle Beamten, Rechtsanwälte, Ärzten im öffentlichen Dienst, Lehrer und Hochschullehrer; das waren die ersten klaren rassistischen Gesetze. Traurigerweise übernahmen viele, aber nicht alle ! evangelischen Landeskirchen in Anpassung an das Regime diesen Paragraphen, der dann die Pfarrer betraf. Wegen seiner widerständig geradlinigen Haltung wurde JR unter Polizeiaufsicht gestellt, regelmäßig von der Gestapo verhört, in unterschiedlicher Weise schikaniert, von der regimetreuen Landeskirchenregierung mit Geldstrafen belegt, persönlich vielfach angegriffen und schließlich mit drastisch verkürzter Pension zwangspensioniert und staatlicherseits 1939 mit Berufsverbot aus Hessen-Nassau ausgewiesen.
Das für uns Beispielhafte sind seine Standhaftigkeit und Wahrhaftigkeit; besonnen, beharrlich und gewissenhaft im Wortsinn: seinem Gewissen folgend – trat er für die jeweilige Sache ein. Solches Tun möchte die Stiftung mit Hilfe des Preises würdigen und bestärken. Um es mit der Stiftungs-Satzung zu sagen: würdigen, „Wo Einzelne und Gruppen der Gewalt und Unmenschlichkeit im innergesellschaftlichen Bereich wehren, wo sie in sinnvollen Projekten Strukturen der Toleranz, der gewaltfreien Konfliktlösung, der Mitmenschlichkeit und der Versöhnung aufbauen“.
Das tut seit über 40 Jahren die Internationale Initiative Hochfeldt. Sie wendet sich in einem Stadtteil mit starkem ethnischem und sozialem Spannungsfeld den Fremden zu, denen, die auf der sozialen Leiter ganz unten stehen; an einem Platz, an dem Fremdenangst, Fremdenfeindlichkeit und dementsprechende Diskriminierungen sich verdichten. Die eingehende Würdigung dieses Tuns wird gleich in der Laudatio erfolgen. Ich will hier, ausgehend von meinem Beruf als Arzt und Psychotherapeut in geraffter Form etwas aus psychologischer Sicht zum Phänomen von Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit sagen.
Entwicklungspsychologisch kann die sog. 8-Monats-Angst des Säuglings, das Fremdeln, als Ausgangspunkt angesehen werden. In diesem Zeitraum ist der Säugling in der Lage, das Gesicht der konstanten Pflege- und Betreuungsperson, also Mutter und ggfs Vater, zu erkennen, und lächelt sie an. Auf andere Gesichter reagiert er buchstäblich befremdet, also mit Zurückhaltung, Abwendung oder mit deutlicher Angst. In der weiteren Entwicklung des Kontakt- und Beziehungsverhaltens spielt nun eine wichtige Rolle, wie sicher und stabil die Beziehung zu Mutter / Vater ist. Wenn hinreichend sicher, also das sogenannte Urvertrauen entstanden ist, kann das Kleinkind sich unbefangen und neugierig Fremden zuwenden und prüfen, ob Angst als Schutzmaßnahme nötig ist. Neugier ist als Antrieb in uns angelegt und macht das Unbekannte attraktiv mit dem Wunsch, es zu erkunden. Ist die primäre Beziehung zu den Eltern aber unsicher, weil Mutter und/oder Vater ängstlich und unsicher sind, vielleicht besonders gegenüber Fremden, und damit dem Kind das Signal geben „entferne dich nicht von mir, wende dich nicht dem Fremden zu“, dann gerät das Kind in Konflikt zwischen seinem Erkundungsbedürfnis und diesen elterlichen Signalen, die für das Kind die Gefahr oder gar Drohung bedeuten, den Halt und die Liebe der Eltern zu verlieren; das aber wäre unerträglich. Deshalb wird das Angsterregende und Gefährliche von den Eltern weg auf das Fremde verschoben oder projiziert und damit die Beziehung zu Mutter und Vater gesichert. Die Mischung dieser fördernden oder verunsichernden emotionalen Erfahrungen bestimmt die weitere Entwicklung. Je mehr Sicherheit und Zutrauen sich entwickelt haben, aus dem ja Selbstsicherheit und Selbstzutrauen erwachsen, desto offener kann dieser Mensch Fremden und Fremdem begegnen; auch vor dem Hintergrund gruppen-psychologischer Faktoren, die die engere soziale Gemeinschaft betonen mit Zusammengehörigkeitsgefühlen: Familie, Nachbarschaft, Wohnort, Verein, Religion, Ethnie / Volksgruppe, Land / Nation. Je stärker konflikthaft die primären Beziehungserfahrungen waren, um so mehr müssen Angst, Frustration und die daraus resultierende Wut gegenüber den Eltern als den eigentlichen Verursachern verdrängt werden. Statt dessen werden sie an geeigneten Ersatzobjekten festgemacht, die dann in Sündenbock-Funktion zu den Ursachen erklärt werden. Die Sündenbockfunktion wird gerechtfertigt stabilisiert durch die Vereinfachung und Verfälschung komplexer Zusammenhänge, die Verallgemeinerung von Einzel-Beobachtungen und verallgemeinende Zuchreibungen („Zigeuner“ stehlen, Deutsche sind fleißig, Griechen sind faul, Migranten/Asylanten sind Schmarotzer). Auf diese Weise zu Feinden gemachten Fremden werden gemieden, so dass keine korrigierenden Erfahrungen gemacht werden können.
Zusätzlich besteht in unsicheren Beziehungen ein Mangel in der emotionalen Versorgung, aus dem Konkurrenz gegenüber Rivalen entsteht: das sind in der Familie die Geschwister, die gefühlt oder auch tatsächlich vorgezogen und besser versorgt werden; dieses Erleben wird später verschoben auf Personen, ‚Fremde‘, die als Eindringlinge in die eigene Gruppe empfunden werden, angestammte Rechte streitig machen wollen. Daraus erwachsen die Fantasien, dass Migranten / Asylanten lediglich unser soziales System ausnutzen wollen, ohne dafür etwas zu leisten.
Die erbarmungswüdigen Verhältnisse, aus denen die meisten der so abgestempelten Menschen kommen, derzeit im Fokus Roma und Sinti, werden ignoriert, bagatellisiert oder verleugnet. Die Folgen der gegebenen Lebensverhältnisse werden zur persönlichen Schuld erklärt. Der Umstand, dass es die schwarzen Schafe überall und in jedem noch so ehrenhaft erscheinenden Bereich gibt, wird ebenso ausgeblendet. In Hinsicht auf Roma und Sinti werden die realen Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten prägnant dargestellt in einem Interview des ‚Stern‘ mit der einzigen sich bekennenden Roma-Vertreterin im EU-Parlament, Livia Jaroka. Nachzulesen in Nr. 17 vom 16.4.d.J.
Ergebnis dieser unbewußten Vorgänge ist, dass sich auf den extremistischen Positionen die verdrängte frühe Wut scheinbar gerechtfertigt in Aggression und Hass entladen kann. Real schlechte soziale und wirtschaftliche Lebensbedingungen tragen ihren Teil zur Festigung dieser Vorstellungen bei.
Soziologen legen bei ihren Untersuchungen das Gewicht auf die Lebensverhältnisse. aber unabhängig davon, ob das Phänomen psychologisch oder soziologisch untersucht wird, sind sich bei den Schlussfolgerungen die Fachleute bemerkenswert einig:
- zeigen die Beobachtungen und Untersuchungen, dass wir alle den Zwiespalt zwischen Neugier und Wunsch nach dem Fremden einerseits, Angst und Vermeidung andererseits in uns tragen; denn eine Entwicklung ohne Angst gibt es nicht. Bei aufmerksamer Selbst-beobachtung kann man diesen Zwiespalt wahrnehmen. Die Mischung macht den Unterschied, wie stark Angst und Abwehr werden. Der Ausweg ist, offen mit der eigenen Zwiespältigkeit umzugehen; dann werden wir weniger Opfer unserer Vorurteile. Der Soziologe Ralf Dahrendorf sagte: „Wir brauchen die Menschen aus anderen Ländern und Kulturen, um menschlicher zu werden“. Drastischer sagte es Goethe mit seiner außerordentlichen Menschenkenntnis: „Ein Volk, das seine Fremden nicht ehrt, ist dem Untergang geweiht“.
- Einhellige Schlussfolgerung aus den Ergebnissen unabhängiger Untersuchungen darüber, was gegen Fremdenfeindlichkeit hilft, sind, kurz und bündig: Bildung und persönliche Kontakte. Diese beiden Faktoren reduzieren am stärksten die Angst vor dem Fremden. Darin steckt ein Auftrag an Politik auf jeder Ebene, an Organisationen und letztlich an jeden einzelnen Bürger. Mehr Bildung braucht mehr soziale Gerechtigkeit oder gerechte Güterverteilung; damit entsteht mehr soziale Friedens-bereitschaft und Friedensfähigkeit. Die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung ist eingebettet in und abhängig von der familiäre Atmosphäre. Diese wiederum ist eingebettet in die soziale und wirtschaftliche gesellschaftliche Atmosphäre. Persönliche Kontakte: eigentlich wissen wir es alle aus eigener Erfahrung: wenn ich einen Menschen von Angesicht zu Angesicht angeschaut, ein paar Worte mit ihm gewechselt und vielleicht sogar die Hand gegeben habe, dann hat sich im Gefühl etwas verändert: dann kann ich diesen Menschen nicht mehr so einfach als Feind betrachten. Die pauschale Feind-Zuordnung geht nur in der Anonymisierung durch die entpersönlichende Distanz.
Diese Feststellung ist nichts Neues, aber eine immer wieder notwendige Bestätigung und Verstärkung. Schaffen wir persönliche Kontakte mit Fremden und Fremdem auf jeder Ebene, dann entwickeln wir die Fähigkeit, Unterschiede und Konflikte auszuhalten, uns mit ihnen auseinanderzusetzen und mit ihnen umzugehen, statt sie auslöschen zu wollen. Genau das tut seit nunmehr 40 Jahren die IIH, genauer: Die in ihr tätigen Menschen, die offenkundig über eine segensreiche konstruktive Mischung im o.b. Sinn verfügen, und dafür preisen wir sie in des Wortes doppelter Bedeutung.