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Christoph Dieckmann:
Menschentürme, Gottes Haus

Predigt über Genesis 11, 1 – 9 (Französische Kirche Potsdam, 19. März 2017) / Von Christoph Dieckmann

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1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.
2 Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Sinear und wohnten daselbst.
3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laßt uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel
4 und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.
5 Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, den die Menschenkinder bauten.
6 Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.
7 Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des anderen Sprache verstehe!
8 So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen.
9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.

Im Herbst 1962 hörte ich erstmals vom Bauskandal zu Babel. Das geschah im Christenlehre- Unterricht, aus dem Mund der Katechetin. Fräulein Bosse, eine milde Gottesfreundin, reportierte uns Dorfkindern alles biblische Geschehen mit heilsgeschichtlicher Zuversicht, auch die Kriege und Katastrophen des Alten Testaments. Erst in der Vorwoche hatte Gott, aus Zorn über die mißratene Menschheit, fast seine komplette Schöpfung ersäuft. Begnadigt und per Arche gerettet wurde lediglich die fromme Familie Noah, dazu je ein Ehepaar der Tierwelt, zwecks Aufzucht einer besseren Erdpopulation. Eine abscheuliche Methode. Weshalb mußten Tiere für Menschensünden sterben? Warum Hirsch, Igel und Giraffe, doch nicht die Fische? Und wieso empfand der unfehlbar vollkommene Gott hernach Reue über die eigene Raserei? Denn nun beschloß er, nie wieder eine Sintflut zu schicken – nicht im Vertrauen auf humanen Fortschritt, sondern weil er seine Illusionen aufgegeben hatte. Die Menschen würden bleiben, wie sie waren: lasterhaft, machtbesessen, gottesfern. So kommt es, wenn man freie Wesen schafft. Die Christenlehre wurde begleitet vom Bibelbuch „Schild des Glaubens“ mit den unvergeßlichen Zeichnungen von Paula Jordan. Als ich es jetzt wieder aufschlug, kannte ich noch jeden Strich. Auf Seite 14 erblickt man Noah und die Seinen, überwölbt von Gottes Bundeszeichen, dem Regenbogen. Dankopfernd knien die Bewahrten um ein geschlachtetes Lamm, das die Reise auf der Arche nicht lange überleben durfte. Seite 15 präsentiert bereits die Baustelle von Babel, doch der Turm, kaum begonnen, bleibt Kulisse. Ein einziger Prolet schiebt eine Karre Sand, ansonsten keifen und zetern reich gewandete Orientale wild aufeinander ein. Alles Augenmerk soll dem verbalen Chaos gelten. Unversehens gibt es so viele Sprachen wie Menschen. Die plötzliche Kakophonie verblüfft; die Einheitssprache zuvor war normal, gemäß der urgeschichtlichen Erzählung. Schließlich stammen ja alle Zeitgenossen von Noah ab und bilden die aktuelle Menschheit. Unbekannte Völker existieren nicht. Diese Einheit entsprach natürlich niemals wirklicher Erfahrung. Sie war ein Ursprungsmythos, eine Schöpfungsutopie. Vortrefflich laßt sich solche Utopie mißbrauchen für Nationalismus, Rassismus und Erwählungswahn.

Doch wozu dieser Turm? Wem gegenüber wollen sich seine Erbauer „einen Namen machen“? Laut Luthertext fürchten sie, was Gott (Genesis 9) gebietet: die Besiedelung der gesamten Erde. Sie wehren ihrer Zerstreuung. Nicht nur den Turm wollen sie errichten, sondern auch eine mächtige Stadt, mithin ein Symbol und eine Struktur ihres völkischen Selbstbewußtseins – aggressiv, in aufsässiger Absicht. „Schild des Glaubens“ erklärt: „Sie wollten ohne Gott leben, der eigenen Kraft vertrauen und den Himmel erstürmen.“ Sie suchen Gott – um ihn abzuschaffen und gottgleich selbst zu herrschen.

Gott verteidigt sich, gleichsam in Notwehr. Er „fährt herab“, er verwirrt die Turmarbeiter, er schützt seine Hemisphäre durch Zerstörung der menschlichen Kommunikation. Gottes Selbstgespräch erklärt seine Sorge: „Dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.“

Und was wäre daran schlimm? Die biblische Erzählung intendiert, Gott handele zu Schutz und Nutz der Menschen; er verweise sie fürsorglich an ihren geschöpflichen Platz; er wehre einer Hybris, die ins Unglück führen mußte. Aber ist nicht Gott der Verderber, der die Streitfackel unter die Menschen wirft, um – divide et impera – seine Despotie zu sichern? Entlarvt sich Gott durch seine Sabotage nicht als antihumanistischer Dämmergeist? Lebt der von Gott befreite Mensch nicht besser als der gottbepackte?

Dieser Sicht entsprach der Fortschrittsoptimismus meiner Schulzeit. Ungezählte Christenkinder in der DDR wurden mit dem ersten Kosmonauten Juri Gagarin konfrontiert. Der sowjetische Weltraumstürmer hatte nach seiner Erdumkreisung am 12. April 1961 verkündet, er habe im All

keinen Gott gefunden. Auch mir wurde Gagarins Offenbarung zuteil, im Tonfall der überlegenen Weltanschauung. Die Klasse, mehrheitlich kirchenfern, kicherte gehorsam. Ich schämte mich der Torheit der geliebten Lehrerin. Für die vulgärmarxistische Propaganda konkurrierte der christliche Glaube mit den Naturwissenschaften, natürlich hoffnungslos, auf höhlenmenschlichem Niveau. Die Bibel sei hundertfach widerlegt.

Meine rückschrittliche Großmutter trotzte mit dem Satz: Aber Gott wird Juri Gagarin finden. Mein Vater, Pfarrer, lehrte sinnbildliches Verstehen. So begriff ich die innerbiblischen Dissonanzen als literarische Polyphonie des Buchs der Bücher und seiner Autoren. Ich glaubte ja nicht an die Bibel, sondern an Gott, der in keinem Oben oder Unten residiert.

Dennoch bleibt die Überlieferung des Glaubens eng verbunden mit der Vertikalität, von Kain und Abel bis zu Christi Himmelfahrt. Glaube imaginiert; er prägt unweigerlich Ikonographie à la Paula Jordan. Senkrecht steigt der Rauch von Abels Opfer, Gott wohlgefällig, empor. Kains Brandopfer qualmt horizontal, wird also verschmäht. Auch die christliche Heilung der Babel-Krankheit, die Sprachversöhnung von Pfingsten, geschieht durch Gottes Herabkunft als Heiliger Geist. Gott offenbart sich menschlich, inmitten unserer Geschichte, doch wir nennen ihn den Höchsten. Wir machen uns ein Bildnis, ob wir wollen oder nicht.

Auch der Babelturm gen Gott muß aufwärts klimmen. Sein furioses Wachstum erblickt man auf Pieter Breugels Prachtgemälde von 1563. Am Meer, vor einer flämischen Polderlandschaft, wuchtet ein titanischer Kegel und verschattet die nahe Stadt. Die Turmbauer fuhren soeben das siebte Stockwerk auf, in kühner Bogenkonstruktion, die an das römische Kolosseum erinnert. Bauhütten nisten auf den stufigen Terrassen. Rechts klafft die Außenwand; man blickt ins Innere des Ungetüms. Anzeichen einer Sprachverwirrung gibt es nicht. Im Vordergrund wird kundig gewerkt. Steinmetze schlägeln, Knechte transportieren Blöcke. Nun aber naht der Baugebieter, Gottes Feind. König Nimrod, mit Szepter und Krone, erfahrt kniefällige Reverenz, als bete man ihn an.

Flavius Josephus vermutet in seinen „Jüdischen Altertümern“, der Tyrann habe den Turm aus Wasserschutzgründen errichtet, als Fluchtort, falls Gott wieder eine Sintflut schicke. Kannte Pieter Breugel diese Deutung? Sein Koloss fasziniert als Kulturphänomen – sichtlich auch den Maler. Breugel schuf eine zweite Fassung, aus den Gegenperspektive. Diesmal malte er hauchzart auch die Sprachverwirrung seiner Zeit: die Kirchenspaltung. Wer ganz genau schaut, der entdeckt – halbwegs oben, klitzeklein – eine katholische Prozession, die turmaufwärts tippelt. Der Bau ist weiter gewachsen. Man zweifelt nicht mehr am Gelingen. Man sieht jedoch, wie der unmäßige Rundling sich mit jedem Etagenring verjüngt. Irgendwann muß er einen Abschluß finden. Schon stößt das Turmhaupt durch die Wolkendecke. Der Menschenhimmel ist erreicht – unendlich fern von Gott. Der Bau scheitert – an Gottes Wesen, nicht an seiner Intervention.

„Vom Himmel hoch …“ – ihren Inbegriff findet die christliche Vertikalität in der Gotik. Im 13. Jahrhundert gestattet der bauwissenschaftliche Fortschritt die Konstruktion göttlicher Hochhäuser. Die Spitzgewölbetechnik entlastet die Seitenmauern. Man kann sie nun durchbrechen und mit großen Fenstern füllen. Deren Bemalung erzählt die Heilsgeschichte als leuchtende Bilderbibel. Der Kirchgrundriß zeichnet Christi Kreuz. Die Vierung, der Schnittpunkt von Längs- und Querschiff und Chor, empfängt Himmelslicht. In den Kathedralen von Reims, Amiens und Bourges steigt der Gesang über vierzig Meter auf. Die Gotik baut das himmlische Jerusalem auf Erden. Die Steine erwachsen zu Metaphysik, als Näher-mein-Gott-zu-dir.

„Gott wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann“, heißt es im 1. Brief des Paulus an Timotheos (6,16), und im Choral: „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt einen hellen Schein.“ Entscheidend ist, in welche Richtung sich die Vertikalität vollzieht. Die Babeltürmer wollten hin zu Gott. Und die Gotik laßt Gottes Geist gehorsam kommen? So reinen Herzens ist keine Religion. Kathedrale, darin steckt das griechische Wort kathedra: Stuhl, Sitz, Weisungsort. Kathedralen waren Bischofskirchen; sie materialisierten Macht. Sie erhoben die Herzen – und schüchterten ein. Sie bezeugten Gott – und die Besetzung von Land, bepflanzt mit Imponiergestein.

Das berühmteste Werk der deutschen Gotik ist der Kölner Dom. Seine Errichtung begann 1248, nach dem Vorbild von Amiens. Das Bauen zog sich hin. Nach 1520 kam es zum Erliegen. Der gotische Stil hatte sich überlebt, die Reformation ruinierte den Ablaßhandel, die Finanzierung war nicht mehr zu stemmen. Uber drei Jahrhunderte blieb der Dom ein Torso. Außer dem Chor standen die Seitenschiffe und zwei Turmgeschosse. Darauf quietschte im Wind ein verlassener Kran.

So kannte Heinrich Heine den Kölner Dom. So hat er ihn bedichtet, in „Deutschland. Ein Wintermärchen“: Er ward nicht vollendet – und das ist gut. / Denn eben die Nichtvollendung / Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft / Und protestantischer Sendung. Heine war ein Bekehrter. Anfangs propagierte er den Weiterbau. Dann merkte er, daß dies keine republikanische Bewegung symbolisieren würde, sondern die Hohenzollern-Herrschaft: die autoritäre Nation von oben.

Köln war 1815 beim Wiener Kongress zusammen mit dem Rheinland und dem nicht minder katholischen Westfalen ans staatsprotestantische Preußen gefallen. Der erste Aufruf zur Domvollendung erging schon 1814 von dem katholischen Vaterlandspropheten und gewendeten Jakobiner Joseph Görres, adressiert ans deutsche Volk, das damit ein Denkmal der Befreiung von der Fremdherrschaft erschaffen möge. Das Bauwerk sei »in seiner trümmerhaften Unvollendung […] ein Bild von Teutschland gewesen seit der Sprach- und Gedankenverwirrung; so werde es denn auch ein Symbol des neuen Reiches, das wir bauen wollen«. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. würdigte das mit dem Urteil: Schnapsidee! Sein Sohn Friedrich Wilhelm IV. war ein romantisches Gemüt und verklarte das Mittelalter zum deutschen Seelenhort. Am 4. September 1842 legte er den Grundstein zum Weiterbau.

1880 war der Dom vollbracht, in eisiger Zeit. Es herrschte »Kulturkampf« zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat, der keine zweite, von ihm unabhängige Macht dulden wollte. Kaiser Wilhelm I. kam am 15. Oktober zur Weihe »des herrlichsten Denkmals deutschen Sinnes, deutscher Kraft, deutscher Einheit«. Pomp und Prunk, Kanonen-Salut und Heil dir im Siegerkranz schändeten den Dom als Gotteshaus und Kathedrale der Erzdiözese Köln. Der Erzbischof Paulus Melchers fehlte; er war aus Preußen verbannt. Es heißt, Kölns katholisches Bürgertum habe sich »in würdiger Zurückhaltung« vom Dombaufest ferngehalten.

Aber der Dom war beständiger als die okkupatorische Ideologie. Das wilhelminische Reich aus Blut und Eisen verging auf jene Art, wie es geschaffen worden war. Der Dom steht und gewährt dem Glauben Obdach – kein Vaterlandsriese, sondern Gottes Hütte bei den Menschen.

Anfangs war ich gegen den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Deren Ruine sollte Mahnmal bleiben, gegen Militarismus und Krieg. In der Nacht zum 14. Februar 1995 stand ich inmitten von vielhundert Dresdnern, die sich, Kerzen in den Händen, um die Trümmer scharten und Dona nobis pacem sangen. Dann sah ich den Neubau wachsen und spürte unverhoffte Freude. Der 30. Oktober 2005 war schieres Glück. An diesem Tag der Weihe verbrachte ich sieben Stunden in der wiedererstandenen Steinernen Glocke. Ihr gilt mein erster Blick, wenn ich nach Dresden komme und der Zug die Marienbrücke überquert.

Was ich nicht wollte: eine Show- und Touristenkirche, einen Tempel protestantischer Selbstdarstellung, ein Institut zur religiösen Veredelung der Staatsideologie und einer Außenpolitik, die sich immer weiter militarisiert. Am 30. April 2013 luden die Bundeswehr, das sächsisches Innenministerium und die Stiftung Frauenkirche zur Kirchenschändung. In der Frauenkirche musizierte „das Wehrbereichsmusikkorps III der Bundeswehr unter Leitung von Oberstleutnant Roland Dieter Kahle“. Die evangelische Kirche garnierte die Propaganda mit Gebet, auf daß Gott seine Beförderung zum Wehrbeauftragten gefalle.

Der Protestantismus hat eine lange Geschichte opportunistischer Feigheit und staatsideologischen Mißbrauchs. Wo, wenn nicht an diesem Ort, müßte sie enden? Christlicher Glaube ist wesenhaft pazifistisch; Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. In seinem Haus ist jeder Mensch willkommen, auch jeder Soldat. Doch er möge einzeln kommen, nicht als Armee. Und entwaffnet, ohne Pauken und Trompeten.

Ich traf Eberhard Burger, den Baumeister der erstandenen Frauenkirche. George Bahrs bescheidener Wiedergänger war nun Pensionär. Dennoch besuchte er mehrmals in der Woche seine Kirche, erklomm die zweite Empore und erfreute sich des Wunders auf seinem Lieblingsplatz.

Herr Burger, hätte die Ruine bleiben sollen? Als Mahnmal zur Entwaffnung der Ideologien?

Das konnte ich mir nach der friedlichen Revolution nicht vorstellen, sagte Burger. Die Botschaft dieser Kirche ist Frieden und Versöhnung. Die Kriegserinnerungen unserer Eltern lassen sich nicht verstetigen über die Generationen hinweg. Ich merke das an meinen Enkelkindern.

Das Beispiel Frauenkirche wird im Streit um die Potsdamer Garnisonkirche immer wieder, wie man so treffend sagt, ins Feld geführt. Der Vergleich erhellt; er zeigt den Unterschied. Die Frauenkirche entstand als Gotteshaus der protestantischen Bürgergemeinde, die Garnisonkirche als Walhalla des preußischen Absolutismus. Sie wurde erbaut zwecks gläubiger Rüstung des Militärs zur maximalen Gotteslästerung, dem Krieg. Der Turm ragte 88 Meter auf. Sein Glockenspiel lautete Nun danket alle Gott und Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab und weiche keinen Fingerbreit vom rechten Wege ab. Ungezählte führte dieser Weg ins Grab. Der „Soldatenkönig“ züchtete Preußens Armee. Sein Sprößling Friedrich II. ließ sie von der Kette, verheerte Europa und produzierte Leichenberge, weshalb er auch „der Große“ heißt. Die Garnisonkirche wurde zum Trophäenschrein, ihre Krypta zur Grablege für Vater und Sohn und am 4. November 1803 zur weltgeschichtlichen Bühne. Nacht war ́s, als „bey der Asche dieses Unsterblichen“ Preußens friedsinniger König Friedrich Wilhelm III., Gattin Louise und Rußlands Zar Alexander einander Beistand gegen das Korsenmonster Napoleon gelobten. Preußen fiel, Alexander lief über. Der unsterbliche Altfritz bekam am 25. Oktober 1806 abermals Besuch, nun von Napoleon, welcher sic transit gloria mundi sprach und, auf Französisch: Wenn du noch lebtest, stünde ich nicht hier.

Ein ebenso fataler Imitator nahte sich am 21. März 1933. Dieses Garnisonkirch-Datum heißt bis heute Tag von Potsdam“. Hier wurde der neue Reichstag eröffnet, mit Glockengeläut, paradierender SA, Heil!-Gebrüll und unüberschaubaren Massen jauchzenden Volks. Ein berühmtes Photo zeigt, was vor der Kirche geschah. Reichskanzler Adolf Hitler, zivil befrackt, schüttelt die Hand des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Der „Tag von Potsdam“ verschmolz das bürgerlich-konservative Deutschland mit Hitlers „nationaler Erhebung“ und entmachtete die Demokratie, wobei der greise Reichspräsident demonstrieren wollte, daß die Zentralgewalt bei ihm verbliebe. Doch Hindenburg starb 1934, der Kanzler wurde endgültig zum Führer“. In der Garnisonkirche hatte er georgelt: „Möge uns dann auch die Vorsehung verleihen jenen Mut und jene Beharrlichkeit, die wir in diesem für jeden Deutschen geheiligten Raum um uns spüren als um unseres Volkes Freiheit und Größe ringende Menschen an der Bahre seines größten Königs.“ Und die Gemeinde sang: Nun lob mein Seel den Herren.

Eine Militärkirche gehört nicht zur Versöhnungsgeschichte des Evangeliums. Sie zählt zur Mißbrauchsgeschichte, durch Sakralisierung von Nation und Krieg. Warum sollte diese gotteslästerliche Bude auferstehen?

Zur Stadtgesundung, sagen Potsdams Klassizisten und schwärmen vom Dreikirchenblick: dem Langen Kerl der Garnisonkirche, dem Campanile der Friedenskirche, der Kuppel von St. Nikolai. Finger weg!, rufen die Widersacher. Erstehen soll der Kriegstempel der Hohenzollern, zwecks neomilitaristischer Erneuerung Preußens. Dessen altböser Geist würde unweigerlich auch in die neue Hülle fahren. Kirchlicherseits lautet das Aufbau-Motiv: Friede und Versöhnung. Es wirkt gesucht und mühelos gefunden. Versöhnung ist prima. Aber mit wem? Und womit niemals, gemäß der Friedensbotschaft Jesu Christi, auch wenn der wehrmächtige, rüstungstolerante Zeitgeist frommende Worte findet? Und wenn, in babylonischer Hybris, Ein feste Burg ist unser Gott zum Großen Zapfenstreich erschallt?

Alle Argumente sämtlicher Parteiungen sind wohl jedem Potsdamer bekannt. Ich bin keiner und möchte auch nicht eifern. Das Muschebubu zwischen Protestantismus und altfritzlicher Restauration ist mir fatal. Der Untergang der Garnisonkirche geschah allerdings in zwei Epochen. Der Bau verging ja nicht gänzlich im Bombenfeuer des 14. April 1945. Der Turmstumpf stand noch, zwei Etagen hoch. Er verschwand durch die gewaltige Tat des Großen Städtebauers Walter Ulbricht. Am 23. Juni 1968, einem Sonntag, ließ Ulbricht sprengen, zur Gottesdienstzeit. Das zerstörte kein totes Rudiment, sondern den Versammlungsort der Kreuzgemeinde, die hier nach dem Krieg untergekommen war. Der Gottverächter Ulbricht wirkte als Babeltürmer. In Leipzig vernichtete er die völlig intakte Universitätskirche St. Pauli und rammte einen sozialistischen Zeigefinger ins Zentrum der Stadt. Jena und Neubrandenburg erhielten gleichfalls Ulbricht-Minarette. Auch in Potsdam ragt solch vertikale Hinterlassenschaft und bezeugt Geschichte.

In Berlin überlebte nach dem Untergang der DDR die Methode Ulbricht und führte zur Vernichtung des Palasts der Republik. Nun entsteht dort eine Stadtschloß-Fiktion; möge sie gelingen. Wunderbar glückte schräg gegenüber die Rekonstruktion des Neuen Museums, das jahrzehntelang zerstört lag und nun, Schicht für Schicht, alle Gezeiten seiner Geschichte dokumentiert. Neubauten sind selten Gefäße wahrhaftiger Erinnerung. In Potsdams jüngst erstandenem Palais Barberini wird der Besucher froh, umleuchtet von Impressionisten. Töricht wirken Pläne zur „Rückgewinnung“ eines friederizianischen Disneylands, inklusive der Schleifung platzhaltender Bauten anderer Zeiten, die man ausradieren möchte. Unvergeßlich bleibt mir, wie der Chef der Garnisonkirch-Fördergesellschaft, ein freundlicher Bundeswehr-Obrist, das DDR-gebaute Potsdam nannte: sibiriakisches Nirwana. Da flog mich, aber aus westlicher Richtung, eine sibirische Kälte an.

Liebe Gemeinde, das war eine lange Reise. Von Babel kommend, enden wir bei der Stimmverwirrung von Potsdam. Auch der Prediger ist hörbar Partei. Unwürdig und geschichtsvergessen schiene mir eine Kopie der Garnisonkirche aus der Backform des preußischen Militärstaats. Was immer sich hier künftig türmt – es handelt sich um Menschenwerk, um Eigenverortung der Kirche. Hier signalisiert sie sich selbst. Gott verlangt das nicht. Ideologie ineins zu setzen mit Gott, das ist der Turmbau zu Babel, die Ursünde – auch der Religion. Ihren Fanatismus haben wir Europäer fürchten gelernt. Gott allein entscheidet, in welchen Häusern er wohnt. Herabnötigen läßt er sich nicht. Er kennt uns. Steine können sich ändern, aber Menschen? Amen

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