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Martin Niemöller – ein Prophet des Friedens

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von Walter Jens

 Walter Jens’ Rede zum 100. Geburtstag von Martin Niemöller im Hessischen Landtag 1991 ist ein literarisches Portrait dieses „Propheten des Friedens“, von dessen Geradlinigkeit für Gerechtigkeit und Frieden wir heute noch lernen können.

 

„Vormittags an der Preface zu Nie­möllers Predigten. Mittags zum N.B.C. Lesung der deutschen Sendung. Ärger über zweimaliges Versprechen. Nach dem Lunch die .Nation‘ gelesen.“ Die Notizen Thomas Manns, formuliert in Pacific Palisades, am 29. Juli 1941, klingen nüchtern, fast beiläufig. Ein Allerweltsgeschäft ist zu leisten und, nach verläßlichem Studium der Texte, in einer Wochenhälfte zu beenden: „Vormittags an der Einleitung zu den Predigten“, „vormittags die Einleitung zu den Pre­digten abgeschlossen“, und dann, der Leser spürt das Aufatmen:

Das für drei Tage, mit einem raschen Blick von Kalifornien ins ferne Deutsch­land, unterbrochene Hauptgeschäft nimmt seinen Fortgang. Eine Pflicht­übung also, das rasche Exerzitium ei­nes Moralisten, der weiß, was die „For­derung des Tages“ gebietet? Keineswegs. Der Duktus des knappen Es­says, der im gleichen Jahr, anno 1941, als Einleitung zu „Martin Niemöller – God is my Führer. Being the Last Twenty-Eight Sermons“ in der Philosophical Library and Alliance Book Corporation erscheinen wird, zeugt nicht nur von respektvoller Zuneigung gegen­über einem Fürsprecher des „anderen Deutschland“: Er ist, wie Thomas Manns Interpretation der Studie bald darauf nachdrücklich hervorhebt, „von ehrlicher Bewunderung eingegeben für die gehor­same Zeugenschaft eines Geistlichen und Kirchenmannes, mit dessen Geistesform die meine sonst wenig gemein hat“. Der Gegenstand meines kleinen Aufsatzes „brachte es mit sich, daß das Politische darin einmal offen die Sprache der Religion redet – mit Recht; denn aller letzter Ernst des Menschen ist Religion“. … aller letzter Ernst des Menschen: Es ist bewegend zu sehen, wie ein imaginäres Gespräch zwischen zwei Deutschen, ein Geisterdialog über Län­der und Meere, den souveränen Skep­tiker von Pacific Palisades Worte fin­den läßt, die er, in ihrer aller Ironie und spielerischen Verfremdung unzugäng­lichen Eindeutigkeit, sonst eher ver­mied. Jetzt aber, auf einmal, die apo­diktische Formel, in der das Ästhe­tische „so und auch anders“ hinübergeht ins metaphysische „Dieses ist wahr“. Warum? Weil, das zeigt die Vorrede im Band von Niemöllers Predigten, Lek­türe zu unmittelbarer Partizipation, gelassenes Zurkenntnisnehmen (mit dem Bleistift in der Hand) zu er­regender Herausforderung geworden war: Während Thomas Mann las, was 1937, in Martin Niemöllers letzter Dahlemer Predigt, unter dem Leitwort „Israel hat dennoch Gott zum Trost“ von der Kanzel verkündigt worden war – während er, aus dem Abstand von vier Jahren, die Sätze zu erwägen hatte: „Ich denke daran, wie am Mittwoch die Geheime Polizei in die verschlossene Friedrichwerdersche Kirche eindrang und im Altarraum acht Mitglieder des dort versammelten Reichsbruderrats fest­nahm und abführte; ich denke daran, wie gestern in Saarbrücken sechs Frauen und ein männliches Gemeinde­mitglied verhaftet worden sind, weil sie ein Wahlflugblatt der Bekennenden Kirche auf Anweisung des Bruderrats verbreiteten. Ich sage: Wer das weiß und wer das wirklich mit durchleidet, der ist nicht mehr weit von jenem Wort des Propheten, der spräche am lieb­sten auch: ,Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele'“ … während Tho­mas Mann, stellen wir uns vor, diese Sätze eines Predigers las, die so wenig mit der behaglichen Diktion der „Buddenbrooks“-Pastoren gemein hatten: aber viel mit der Zeugen-Rede der Reformatoren, da wurde Gestern plötzlich zum Heute, Berlin war näher als Los Angeles, und der ein paar Jahre später, im „Doktor Faustus“, beschriebene Gegensatz zwischen Goethes Deutsch­land und dem Reich der Finsternis sah sich durch die Antithese zwischen dem Zeugen Jesu Christi Martin Niemöller und jenem Gegenspieler antizipiert, Adolf Hitler, der – weit über alles zuvor Beschriebene hinaus! – von Thomas Mann zum ersten Mal als das fleisch­gewordene Böse – eine Ausgeburt der untersten Hölle! – apostrophiert wird, der seinen Feinden nicht einmal den Gnadentod gönne: „Lebenslange Fol­terqual, körperliche Erniedrigung und Schändung, die Berechnung ihrer Per­sönlichkeit, die Umdrehung ihrer Ge­hirne, der Wahnsinn, die bettelnde Ver­blödung – das ist es, was er über sie verhängt, woran sein so teuflisches wie blödes Herz sich ergötzt.“

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