von Dr. Eberhard Rumpf
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich spreche zu Ihnen als Mitglied der Familie Rumpf und des Kuratoriums des JR-Stiftungs-Fonds. Wir würdigen seit 2000 jährlich mit diesem Preis Einzelne oder Gruppen, die, sei es innerhalb oder außerhalb der verfassten Kirche, der Gewalt und der Unmenschlichkeit wehren und mutig, ideenreich und widerständig Strukturen der Mitmenschlichkeit, der Toleranz, der gewaltfreien Konfliktlösungen und der Versöhnung aufbauen (aus der Satzungspräambel zitiert).
Der Preis trägt den Namen von Pfarrer Julius Rumpf, geb. 1874 als Sohn eines Gerichtspräsidenten, aufgewachsen im großbürgerlichen Frankfurt in einer liberal, demokratisch und tolerant gesinnten Atmosphäre. Diejenige Lebens- und Wirkungszeit, derer wir vor allem mit der Namensgebung gedenken, umfasst die Zeit von 1921 bis zu seinem Tod 1948, insbesondere seine Zeit als Pfarrer an der Marktkirche in Wiesbaden von 1921 bis 1938. Er war ein aufgeklärter, kritischer Theologe mit einem hohen theologischen und sozialen Verantwortungsbewusstsein und einem unbestechlichen Gerechtigkeitssinn. Die Botschaft des Neuen Testaments war für ihn unbedingte und nicht relativierbare Verpflichtung. Er wurde auf Grund seines Engagements für Jugendliche zum ersten offiziell benannten Jugendpfarrer in Hessen-Nassau. In den Zeiten der Weltwirtschaftskrise kümmerte er sich um die sozialen Nöte in seiner Gemeinde. Der Unrechtscharakter des aufkommenden Nationalsozialismus war ihm von Anfang an klar. Die sog. „Gleichschaltung“ der Kirche konnte er nicht hinnehmen. Anmerkung für die Jüngeren, denen dieser Begriff vielleicht nicht geläufig ist: „Gleichschalten“ wurde die freiwillige oder unfreiwillige Unterordnung aller gesellschaftlichen Einrichtungen unter die Ideologie und Herrschaft des nationalsozialistischen Systems genannt, sozusagen die Einverleibung. Die gleichgeschaltete Einheitskirche hieß „Deutsche Christen“. Die widerständigen evangelischen Pfarrer sammelten sich im Pfarrernotbund, der 1933 von Martin Niemöller gegründet wurde und aus dem 1934 die Bekennende Kirche hervorging. Julius Rumpf übernahm die Leitung des Pfarrernotbundes in Hessen-Nassau, dann den Vorsitz des Landesbruderrates der Bekennenden Kirche in Hessen-Nassau. Damit stand er mitten im sog. „Kirchenkampf“; dieser Begriff meint mehreres: den Konflikt zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche, die Versuche des NS-Staates, die verfassten Kirchen überhaupt abzuschaffen und den Abwehrkampf bzw. Widerstand der Bekennenden Kirche. Sein Amtskollege in der Gemeinde – Ironie der Geschichte – wurde Landesbischof der „Deutschen Christen“ und agierte in übler Mobbing-Manier gegen ihn, heftete z.B. verleumderische Anklagethesen an die Kirchentür – die Marktkirche ist die zentrale ev. Kirche in Wiesbaden. Sowohl Amtskirche wie NS-Staat schikanierte ihn zunehmend, die Kirche verhängte Geldstrafen, setzte ihn schließlich als Pfarrer ab, pensionierte ihn zwangsweise 1938 und belegte ihn mit Predigtverbot. Die Gestapo verhörte ihn regelmäßig, stellte ihn unter Polizeiaufsicht, bedrohte und verbannte ihn 1939 aus Hessen-Nassau. Beschreibungen aus dieser Zeit heben seine unbedingte Wahrhaftigkeit, die unerschütterliche Festigkeit und Klarheit seiner Überzeugungen hervor, verbunden mit Besonnenheit und kenntnisreicher Umsicht im praktischen Handeln. Das rettete ihn möglicherweise vor der Verhaftung. Nach der Verbannung lebte er mit seiner Frau in Heidelberg, unterstützte von dort aus weiter die Bekennende Kirche und beteiligte sich bis zu seinem Tod 1948 am Wiederaufbau der Evangelischen Kirche i.D., soweit es seine Kräfte noch erlaubten. All das wurde von seiner Frau mitgetragen; gemeinsam zu tragen war auch die Bürde, dass ein behinderter Sohn wahrscheinlich ein Euthanasie-Opfer geworden war.
Diese Vita ist nicht spektakulär, Julius Rumpf eignet sich nicht zu einer Zeichnung als Märtyrer. Das wäre ihm auch völlig fremd gewesen, denn ihm ging es strikt um die Sache der Botschaft Jesu Christi, nicht um seine Person. Und: Wann immer Menschen mit Mut, Standhaftigkeit, Beharrlichkeit, mit dem Bewusstsein einer Ungerechtigkeit und mit der Widerständigkeit des Nicht-Hinnehmens-Wollens sich dafür einsetzen, dass im Sinne der eingangs zitierten Präambel Gutes bewahrt und Ungutes verbessert wird, wird es ihnen um die Sache und nicht um die eigene Person gehen. Diese Menschen stellen sich nicht in den Vordergrund und hängen ihr Tun nicht an die große Glocke, deswegen müssen es andere tun, um das Beispiel Gebende aufzuzeigen; so wie wir heute.
Warum muß es eine große Glocke sein? Weil, ich zitiere aus einer früheren Rede von Ingrid Rumpf, die zusammen mit ihrem Mann Dr. Günther Rumpf, dem jüngsten Sohn von Julius Rumpf, die Stiftung gründete, – „weil die Humanität der Inhumanität, die Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit, die Menschenliebe der Menschenverachtung immer wieder neu abgerungen werden müssen. Mit Mut, Fantasie, Zähigkeit, Standhaftigkeit und oft hohem persönlichem Einsatz“.
Wir können das an vielen Stellen des offiziellen, inoffiziellen und privaten Umgangs mit Menschen, die wir Migranten nennen, beobachten. Zwei Beispiele der alltäglichen, gewollten und von uns allen geduldeten Inhumanität: Abzuschiebende – mit einem geradezu liebevollen Begriff der offiziellen Täuschungssprache auch ‚Abschüblinge‘ genannt, in der Schweiz nennt man den Vorgang realistischer ‚ausschaffen‘ – werden wie Schwerverbrecher morgens um vier aus der Wohnung geholt, und/oder in einem Abschiebegefängnis unter haarsträubenden Umständen festgesetzt und, bevor sie mehr oder weniger gewaltsam ins Flugzeug geschafft werden, wird ihnen durch eine medizinische Pseudo-Untersuchung, die die Bezeichnung ‚ärztlich‘ nicht verdient, die Flugfähigkeit attestiert; als rechtsstaatliches Alibi. Ohne dem Staat das Recht abzusprechen, seine Grenzen fest zu legen und zu überwachen, werden im konkreten Tun und Lassen die Menschenrechte verachtet.
Zweites Beispiel: Eine sog. ‚Illegale‘ putzt bei einer wohlhabenden bürgerlichen Familie zu deren Zufriedenheit und zu einem günstigen Preis. Sie erkrankt und braucht eine Operation. Die Spendenbitte an die Arbeitgeber wird mit einem beschämenden Almosenbetragbetrag und der Begründung beantwortet, dass man nicht mehr geben könne um den Zweitwagen nicht zu gefährden; der ein Oberklassemodell ist. Anschließend wird sie als Arbeitskraft nicht wie eine heiße, sondern wie eine angefaulte Kartoffel fallen gelassen. Mit solcher Art von Missbrauch und Verleugnung müssen sog. illegale Menschen auf Schritt und Tritt rechnen. Bei den Flüchtlingsräten wachsen Fallsammlungen, die empörend und erschütternd sind.
Heute geht es um diese besondere Gruppe Menschen, die aus vielfältigen Gründen bei uns als Papierlose, ohne legalen Status leben und landläufig „Illegale“ genannt werden. Die genaue Betrachtung zeigt aber, dass diese Lebensform ein Produkt der von uns gesetzten Bedingungen ist, d.h. es sind „Illegalisierte“. Deswegen werden sie von denjenigen, die sich solidarisch auf ihre Seite stellen auch so genannt. Elie Wiesel, rumänischer Schriftsteller, Holocaustüberlebender, Friedensnobelpreisträger und Präsident der rumänischen Kommission zur Erforschung des Holocaust sagt: „Kein Mensch ist illegal. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner, sie können gerecht sein oder ungerecht, aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“
Falls sie nicht nur mir, sondern auch sich selbst gelauscht haben, haben Sie möglicherweise eine Seite in sich wahrgenommen, die Wiesels Frage rationalisierend und beruhigend korrigieren wollte in der Richtung, dass diese Bezeichnung doch garnicht das Menschsein an sich meine. An der Stelle müssen wir äußerst wachsam sein, denn dieser Begriff entstammt einem zweckorientierten, auf Effektivität gerichteten Sprachschaffungsprozess, der Vorstellungen und das Denken manipulieren soll. Wiesel weist dagegen auf die Natürlichkeit des Menschen hin oder, im Bild unserer christlich-abendländischen Kultur, auf seine Gottebenbildlichkeit. Diese ist Grundlage unseres Menschenrechtsgedankens.
Diese Schlaglichter erhellen vielleicht, warum im Kleinen wie im Großen angefangen von den ganz stillen persönlichen Entscheidungen bis hin zur Gesetzgebung die Humanität, die Gerechtigkeit, die Zivilisation immer wieder abgerungen werden muss. Dazu ein letztes Zitat, dass ich auch wieder Ingrid Rumpf verdanke mit dem Hinweis auf ein Buch des israelischen Moralphilosophen Avishai Margalit über „The decent society“, in deutsch ungefähr „Die anständige Gesellschaft“. Margalit definiert: „Eine Gesellschaft ist dann anständig, wenn ihre Institutionen die Menschen nicht demütigen. – Sie ist dann zivilisiert, wenn in ihr die Menschen einander nicht demütigen“. In dieser verneinenden Definition steckt mit verblüffenden Genauigkeit, weil sprachlich nicht deformiert, eine Handlungsanweisung dazu, wie Humanität, Zivilisiertheit, menschliche Gerechtigkeit zu jeder Zeit und von jedem von uns verwirklicht werden können. Wenn Sie diese Anweisung ernst nehmen und sich ungeschminkt daraufhin prüfen, werden Sie vielleicht erschrecken über der Erkenntnis, wie schwer das sein kann und wie sehr ich als einzelner Mensch, als Teil einer kleineren und größeren Gruppe, darum ringen muß gegen andere Impulse
In diesem Zusammenhang schmerzt es mich als Arzt besonders, dass und in welcher Weise sich Ärzte bereit finden, sich dem Staat in einer ganz und gar unärztlichen Weise als Dienstleister zur Verfügung zu stellen, die Würde des ganzen Menschseins damit bei sich und anderen verleugnend; bis dahin, den vermeidbaren Tod eines Menschen billigend in Kauf zu nehmen..
Um so mehr danken wir all denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, in Zusammenarbeit mit der Initiative außerhalb des üblichen Weges Illegalisierten Menschen zu ihrem Menschenrecht auf medizinische Versorgung zu verhelfen. Ganz besonders danken wir heute denjenigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dass das praktisch überhaupt möglich wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.