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Ich wünsche mir eine kultivierte Gesellschaft

252496_138508119557381_7709549_nDie Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan hielt die Laudatio bei der Verleihung des 1. Julius-Rumpf-Preises im Jahr 2000 an die Evangelische Kirchengemeinde Joachimsthal

Ich hatte Glück. Gestern sprach der Bundespräsident in seiner ersten Berliner Rede alles Wichtige zum Thema: Ohne Angst und ohne Träumerei, gemeinsam in Deutschland leben, hieß der brillante Vortrag. Eigentlich bräuchte ich jetzt nur die wesentlichen Stichworte pointiert wiederzugeben und dann wärs das. Er sagte zum Beispiel in Richtung der Migranten: Lernen sie deutsch! was korrekt ist. Nur wer die Sprache beherrscht, kann sich der Mehrheitsgesellschaft gegenüber artikulieren, sich sichtbar machen. Oder: Schulen und Hochschulen sind Lernorte, nur Bildung hilft Vorurteile zu überwinden. Stimmt, das Wissen von Anderen schafft Grundlagen für Verantwortungsgefühl und Solidarität. Das Zusammenleben nicht dem Zufall überlassen, fuhr er fort. Bildung, Bildung und noch mal Bildung, das sei die einzige Garantie gegen die Ghettoisierung auf beiden Seiten: sowohl Hilfe bei der Überwindung von Fremdenfeindlichkeit und gleichzeitig auch eine Voraussetzung für die Integration. Und er machte auch keinen Umweg um die sehr komplizierten Religionsfragen. Wer hier dauerhaft leben will, muss seine Herkunft nicht leugnen, sagte Bundespräsident Rau und noch einen kleinen Nebensatz, der mir neben den bereits aufgezählten, noch bedeutender erscheint. Er sagte: sorgfältig mit Sprache umgehen. Und an diesem Nebensatz liegt es, dass meine Rede nun doch ein paar Minuten länger dauern wird. 

Mit der Sprache sorgfältig umgehen!

1984 machte ich mein zweites Theaterprogramm zum Migrationthema: Worte, Geschichten und Lieder, hieß es. Wir versuchten uns dem sogenannten ‚Ausländerproblem‘ allein über die Sprache und mit Worten der Poesie zu nähern. Wir benutzten Worte als Weg und Waffe, als friedlichste, humanste und schärfste Waffe gegen die dumpfe Unwissenheit der blökenden Rassisten, die sich damals eifrig als ‚Borussenfront‘ und andere sogenannte ‚verirrte‘ oder ‚verwirrte‘ Jugendliche in der rechten Ecke sammelten.Ich widmete mich damals den Worten Ausländer, Ausländerproblematik, Gastarbeiter, Integrationspläne, Rückzugsgelder, Zuzugsstopp, Toleranz, Fremde, Überfremdung. Das waren gängige Worte in Presse und Politik. Und sie forderten Toleranz gegenüber den Fremden. Toleranz bedeutet Duldung von Andersdenken und besteht auf dem Trennenden. Ich schmecke in diesem Begriff etwas Herrisches. Wir suchten nach dem Wort, das von Gleich zu Gleich gilt und das Verbindende meint. Ich habe schon immer das Wort Respekt geliebt, weil es bis in die Seele hineinreicht und nicht wie Toleranz an der Außenhaut klebt. Wir sprachen von Respekt vor den Besonderheiten des Anderen. Toleranz ist ein Vertragsangebot zum Waffenstillstand, Respekt ein Versprechen für den Frieden, sagten wir.Aber leider konnten wir die Borussenfront nicht davon abhalten, trotzdem regelmäßig türkische Lokalitäten zu zertrümmern. Denn sie gingen ja nicht ins Theater und wir gingen nicht zu denen.Später haben sich die Begriffe gewandelt zum freundlicheren ‚ausländischen Mitbürger‘. Aber die Freude hielt nicht lange, da kam die Warnung vor der ‚durchrassten‘ Gesellschaft aus Bayern. Von der ‚Parallelgesellschaft‘ der fanatischen Fundamentalisten, Asylantenschwemme, Wirtschaftsflüchtlinge, dass das Maß des Erträglichen erreicht sei und vieles Hetzerische mehr. Gleichzeitig versuchten immer mehr christlich soziale Politiker die randalierenden, rechten Jugendlichen als ‚Verirrte‘ zu entschuldigen. Ob die nun einen Ghanesen in der Berliner U-Bahn zu Tode stampften, Brandsätze in Wohnungen Vietnamesischer Mieter schmissen oder die Häuser von türkischen Migranten in Schutt und Asche verwandelten. ‚Verirrte‘ seien das gewesen – beschämend! Das infamste Wort allerdings kam aus Bonn, aus dem Mund eines Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, der seinen Eid auf die Verfassung geleistet hat, deren erster Satz lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

In Solingen wurden fünf türkische Frauen von Rassisten ermordet. Ihr Haus wurde angezündet während sie schliefen, und sie sind ertickt und verbrannt. Fünf Menschen verbrannten, weil sie in einem anderen Land geboren sind, weil sie ungewohnte Namen hatten, weil sie einen anderen Gott anbeteten und weil ihre Mörder solche Menschen nicht in ihrer Stadt haben wollten. Und die Demütigung machte nicht einmal vor ihren Särgen halt: ‚Beileidstourismus‘ hieß das Wort aus Bonn. Des Kanzlers Kommentar zur Absage an der Trauerfeier lautete: er wolle keinen ‚Beileidstourismus‘ betreiben! Wie finster muss es in einem Kopf aussehen um so etwas sagen zu können. Unbegreiflich! Unverzeihlich! Bald darauf verbrannten drei weitere Türkinnen. Wieder waren die Mörder rassistisch motiviert. Und wieder gab es keinen Aufschrei des Entsetzens.Der Bundespräsident sagte in seiner gestrigen Rede außerdem noch einen wichtigen Satz, gefährlicher als die Einzeltäter sind die schweigenden Symphatisanten. Gerade war ich Gast einer Podiumsdiskussion bei der Genfer Buchmesse, einem Ort, das sich ausschließlich dem Wort widmet. „Zwischen Integration und Identität: Einwanderung und das Zusammenleben der Kulturen“ war das Thema betitelt.Wieder zwei Worte, dachte ich, die immer häufiger in Diskussionen über Migranten auftauchen. Als gäbe es da etwas zu entscheiden: willst du eine Identität, musst du dich integrieren, was soviel heißt wie, sich unterordnen unter das Ganze, bei Aufgabe des Eigenen. Im psychologischen Handbuch steht unter ‚Identität‘: das sozialisierte Ich oder auch das ureigene Selbst. Was ist denn der Mensch vorher gewesen, vor der Integration, und was kriegt er nachher, nach der Integration? frage ich mich. Wer gibt ihm was? Wie definiert sich seine Existenz in diesem Dazwischen? In dieser kulturellen Quarantäne ‚Zwischen Integration und Identität‘?Dann tauchte das Zauberwort von der ‚multikulturelle Gesellschaft‘ auf. Na klar, das war einst der hilflose Versuch, sich um die Einwanderung und die Einbürgerung zu drücken, und es zieht immer noch.

Ich glaube nicht an die multikulturelle Gesellschaft. Weil sich Kulturen nicht auflösen wie Nescafé. Ich wünsche mir eine kultivierte Gesellschaft, eine wissende Gesellschaft, in der die Einzelnen die Besonderheiten des Anderen respektieren. Denn wer vom Anderen weiß, wird ihn nicht ausbeuten oder erschlagen, sagt Erich Fromm in ‚Die Kunst des Liebens‘.Ich argumentierte, dass sich die Frage ob Integration oder nicht, für die Eingewanderten nicht stellt. Nach einer ziemlich kurzen Eingewöhnungszeit in die Logistik des Alltags, passiert das Einwachsen in die Gesellschaft von selbst. Subjektiv fühlen sich Migranten schon recht bald als ein Teil der Gesellschaft. Sie arbeiten, zahlen Steuern und Miete, achten die Verkehrsregeln und Gesetze, auch wenn sie dabei Kopftuch tragend durch die Kölner Innenstadt spazieren oder als Sikh mit einem Turban in der zweiten Generation in Kanada für das Bürgermeisteramt kandidieren. Aber die Mehrheitsgesellschaft sieht in ihnen unverändert nur den Unterschied und nennt sie die Fremden.

Das wirkliche Problem der Migranten liegt in ihrer sich wandelnden Innenwelt, ihrer neuen Bikulturalität. Bikulturalität teilt die Menschen in zwei entgegengesetzte Kräfte. Geradezu ein Segen ist sie für die Flexibilität, um auf neue Situationen einzugehen, bei der Wahl der Möglichkeiten, beflügelt sie die Expression, den Ausdruck. Für die Befindlichkeit, die Impression, jedoch ist sie häufig ein Fluch, oft verbunden mit einem Erstarren. Man lebt aus dem Mangel der jeweils anderen Kultur. Die mitgebrachte verblasst mehr und mehr, die neue braucht Zeit bis sie selbstverständlich ist. In diesem Zustand gleicht die subjektive Verfassung einem unvollständigen Puzzle, als wäre das Selbst nicht komplett, und die restlichen Teile werden auch noch weggespült. Und je nach Sozialisierung folgt diesem sich auflösenden Sein, entweder der Rückzug in die Tradition oder die völlige Assimilation mit der neuen Umgebung.Ich erzähle ihnen das, um deutlich zu machen, was Worte implizieren, auch ohne dies vordergründig zu beabsichtigen: beide Begriffe werden in diesem Kontext zu Dressurinstrumenten, als wären Migranten eine amorphe Masse von noch zu determinierenden Identitäten.Wer so leichtfertig mit derlei Begriffen jongliert, hier die fremde Kultur, die es zu integrieren gilt, dort deren undurchschaubare Identität, die greifbar gemacht werden soll, muss sich nicht wundern, wenn einfacher strukturierte Menschen, wie zum Beispiel die Jugendlichen vorgestern in Belzig/Brandenburg, die in der Wohnung einer vietnamesischen Familie Feuer gelegt haben, wenn die ohne jegliche Schuldgefühle, ‚von dem fremden Pack sprechen, das man ausrotten sollte, weil sie nicht hierher passen‘. Und das sind noch die harmloseren Sätze, die ich zitiere.Überdies sagt ‚Integration‘ noch gar nichts über die Qualität des Miteinanders. Selbst wenn alle Migranten deutsche Namen annehmen würden, ihre Haare blondierten und akzentfrei sprächen, dem Rassisten bleiben sie das Hassobjekt Nummer eins. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. So ist Rassismus zu allererst eine ökonomische Abgrenzung dann erst eine ethnische. Materielle und besonders geistige Armut ist die Leiter ins humanistische Aus. Dabei trifft der Hass auf etwaige Schuldige, zu Beginn den, der am weitesten entfernt zu sein scheint, Migranten und Flüchtlinge. Später Bekannte, Freunde, Verwandte, bis sich die Verrohung gegen die eigenen Kinder richtet. Die dann selbst zu Tätern werden und ihre Opfer wie Trophäen aufzählen. In diesem Stadium ist es fast schon unmöglich, die geprügelten Wesen mit Gesprächen oder anderen kreativen Angeboten überhaupt noch zu erreichen, zu berühren. Deshalb bewundere ich es umso mehr, wenn es trotzdem gelingt. Wie auch immer diese ‚alternative Kultur der Toleranz und Verständigung‘ in der Umsetzung aussehen mag, sie scheint Erfolg gehabt zu haben. Sie hat die jungen Menschen zum JA überredet. Ob ihr nun ‚auf festen Füßen‘ oder auf weichem Sand steht, bleibt bitte offen in eurem Denken. Natürlich funktioniert so ein Projekt nicht ohne mutige Protagonistinnen und engagierte Kreative. Liebe Pfarrerin Beatrix Spreng, lieber Uwe Kolberg und liebe BAFFS – meine Bewunderung an Sie alle und bitte macht weiter so!Wir brauchen eine zivile, demokratisch und human gestaltete – eine solidarische Welt, das forderte Martin Niemöller damals, und darum bitte ich auch heute.Er war ein Christ, wie der Preisstifter Julius Rumpf auch. Ich bin das nicht. Aber ich bin fest der Überzeugung, dass die Götter nur unterschiedliche Namen haben, für die selben Ängste und Fragen der Menschen: Was ist der Sinn des Lebens und was passiert danach? Und so habe ich mich für einen Götterbund entschieden. Die Schwangere in meinem ersten Buch sagt zu ihrem Ungeborenen: Du wirst sehen die Götter werden sich einigen und die Friedenspfeife rauchen. Dann werden wir mit dem christlichen Tatendrang aufstehen, in moslemisch gelassener Weise die klugen jüdischen Weisheiten leben und abends mit der Hoffnung auf Wiedergeburt, in Buddhas Schoß einschlafen. Was meinst du mein Engel, was das für schöne Träume gibt.Leben ist ein dynamischer Prozess, kein statischer Zustand. So sind fortwährende Veränderungen durch neue Einflüsse, kulturimmanente Eigenschaften! und gleichzeitig unverzichtbare Garanten zukunftstauglicher Gesellschaften.Ich danke Ihnen.

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