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Nicht nur gregorianische Gesänge …

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Das Stifterpaar Dr. Günther und Ingrid Rumpf und Dr. Eberhard Rumpf, Mitglied des Kuratoriums
Das Stifterpaar Dr. Günther und Ingrid Rumpf und Dr. Eberhard Rumpf, Mitglied des Kuratoriums

In ihrer Rede zur ersten Verleihung des 1. Julius-Rumpf-Preises im Jahr 2000 sprach die Stifterin Ingrid Rumpf über die Notwendigkeit bürgerschaftlichen Engagements und ihre Motivation zur Gründung einer Stiftung.
Wir dokumentieren die Rede leicht gekürzt:

„Das Ritual der Preisverleihung von Stiftungen sieht es vor, dass auch den Stiftern des Preises Gelegenheit gegeben wird, ihre Motive und Absichten darzulegen – zumal wenn es die erste Preisverleihung einer neu aus der Taufe gehobenen Stiftung ist. Für meinen Mann und mich übernehme ich heute diese Aufgabe.

Der Gedanke, dass Christen sich mit ihren Gaben, Kräften und Mitteln in die Gesellschaft einbringen und nicht nur ihrer frommen Innerlichkeit leben sollten, hat sich inzwischen herumgesprochen und war uns beiden eigentlich immer selbstverständlich. Die Frage ist nur: wie, wo, auf welche Weise? Man kann vieles erwägen: soziales Engagement in der Ortsgemeinde, Aktionen auf dem Kirchentag, Spenden allerorten, einen Einsatz in den Krisenherden dieser Welt oder eine Demonstration zugunsten des Schuldenerlasses für die ärmsten Drittweltländer. Fast alles davon verbietet sich für Menschen jenseits einer gewissen Altersgrenze; bleiben eigentlich nur noch Spendenschecks, ausgefüllt im stillen Kämmerlein, denn „die Linke soll nicht wissen, was die Rechte tut“. 

Als das Projekt einer Stiftung dann in langen Erkundungen und Beratungen allmählich reifte, gab es natürlich gewisse Hemmungen, mit Wohltaten so frei und selbstbewusst an die Öffentlichkeit zu treten. Die feierliche Preisverleihung mit Presseanwesenheit und Laudatio steht doch zu deutlich im Widerspruch zur eben angedeuteten Tradition stiller Wohltätigkeit. Doch wir kamen zu der Überzeugung, dass in unserer Zeit christliche Wohltätigkeit und bürgerschaftliches Engagement nicht mehr in verschiedenen Welten angesiedelt sein dürfen und dass dann eben auch das öffentliche Bekenntnis zu dem, was man tut und erreichen möchte, dazu gehört. Eine Stiftung erschien uns zudem der geeignete Weg, Menschen zu ermutigen und zu fördern, die das tun, was wir nicht mehr tun können.

Es war jedoch die Hilfe der Martin-Niemöller-Stiftung nötig, um nicht zu sagen unerlässlich, damit dieses sehr vage Phantasiegebilde namens „Stiftung“ in die Wirklichkeit treten konnte. (…) Gestatten Sie mir einen kurzen historischen Rückblick, um die Tradition aufzuzeigen, in der uns mit der Begründung einer Stiftung sehen.

Es gab eine Zeit in Deutschland, da war die Nähe zwischen bürgerschaftlichen Engagement aus dem philanthropischen Geist der Aufklärung und praktischem im Glauben wurzelnden Christentum eine Selbstverständlichkeit, und zwar vor allem im begrenzten Raum städtischer Gemeinden. Besonders die freien Reichsstädte wie Frankfurt/Main bildeten im 18. und 19. Jahrhundert ein in dieser Beziehung sehr eigenständiges und eigenwilliges „Biotop“. Die Familien Rumpf und Passavant, die Herkunftsfamilien von Julius Rumpf und seiner Frau Emmy geb. Passavant waren tief verwurzelt in diesem Milieu. Sich mit bedeutenden Beträgen und ehrenamtlicher Tätigkeit im verzweigten Netz städtischer Stiftungen einzubringen, gehörte zum Stolz und zum Selbstwertgefühl dieser Frankfurter Bürgerfamilien. Ich nenne nur die Senckenberg’sche Stiftung, das Staedel’sche Kunstmuseum, das Armenhospital, das Heilig-Geist-Hospital und die von Dr. Heinrich Hoffmann (dem Struwwelpeter-Autor) initiierte „Anstalt für Irre und Epileptische“. Der Bau dieser letztgenannten Anstalt, die nach sehr modernen und kostenaufwendigen Gesichtspunkten geplant war, erforderte z.B. die gewaltige Summe von 600.000 Reichstalern. Das Geld wurde fast ausschließlich aus Spenden von Frankfurter Bürgern aufgebracht. Dr. Gustav Passavant, der unermüdliche Förderer von Heinrich Hoffmanns Irrenhausplan, betonte in seiner Rede zur Grundsteinlegung, wie stolz die Frankfurter sein dürften auf dieses architektonisch anspruchsvolle und später weithin sichtbare Gebäude, das sich allein dem Wunsch verdanke, den so lange gequälten und von der Gemeinschaft ausgeschlossenen Mitbürgern ein menschenwürdiges Leben mit Aussicht auf Linderung ihrer Leiden zu gewähren. Übereinstimmend wurde (…) das Zusammenwirken des christlichen und philanthropischen Geistes beschworen. Es sollten sich stadtbürgerliche Verantwortung, christliche Wohltätigkeit und die Gewährung von Menschenrechten für alle, die menschliches Antlitz tragen, vereinigen. In diesem Sinne wurde auch Wert darauf gelegt, dass sowohl in den Spenderlisten als auch in den Krankenstationen die jüdischen Mitbürger Aufnahme fanden. Man bekannte sich deutlich zu diesem Prinzip. Es gibt Zeiten, da ist Deutlichkeit nötig: Damals, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, war die Ausgrenzung der Juden schon in vollem Gange.

Die deutsche Reichsgründung 1871 bedeutete für die meisten Reichsstädte das Ende ihrer freiheitlichen Existenz. Mit dem Entstehen einer gut funktionierenden Sozial- und Kulturbürokratie begann die Aushöhlung des Stiftungswesens in den Städten. Wenn es stimmt, was Ralf Giordano festzustellen meint, dass in der kaiserlichen Gesellschaft in Deutschland zwischen 1871 und 1918 ein „langsamer Verlust der humanen Orientierung“ stattfand, so mag man den Verfall des Stiftungswesens hinzuzählen. Ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein zogen die Bürger – oder muss man sagen: Untertanen? – jetzt nicht mehr so sehr aus eigenständigen kulturfördernden und philanthropischen Aktivitäten, als vielmehr aus den Denkmälern verblichener Heroen und ruhmreicher Vertreter der Obrigkeit, aus Sedanstagen und Militärparaden. Und ziemlich schnell gab es dann Gruppen, die in die vaterländischen Kulte nicht einbezogen waren: die „Sozis“ oder „vaterlandslose Gesellen“, „Volksfremde“ und „Reichsfeinde“. Wie das weiterging und – begünstigt durch Krieg und Krisenerscheinungen in anderen Bereichen – in einer moralischen und politischen Katastrophe ohne gleichen endete, will ich hier nicht weiter ausführen. Mir geht es, wenn ich Ihren Blick hier auf eine soziokulturelle Entwicklung lenke, die man mit Recht als „Verlust der humanen Orientierung“ durchaus beschreiben kann, um folgende Feststellung: Die Kirche, die Christen in ihrer erdrückenden Mehrheit, waren Teil dieser Entwicklung und nicht ein Damm, an dem sie sich brach oder der sie auch nur aufgehalten hätte.

Als 1934 in Barmen das Bekenntnis gegen Ideologie und Lüge, gegen Unmenschlichkeit und staatlichen Allmachtswahn formuliert wurde und dann die Strukturen der Bekennenden Kirche mühsam aufgebaut wurden, war es zu spät, die Katastrophe noch abzuwenden. Man konnte nur noch reagieren. Allein das aber war schon – wir wollen es nicht vergessen, wenn wir heute über „Mut“ reden – mit tödlichem Risiko verbunden. Dass sie gekämpft und gelitten haben, was sie gewagt, bekannt und trotz allem noch erreicht haben, die Martin Niemöller, Julius Rumpf, Paul Schneider und viele andere in den engen Grenzen, die ein barbarisches Regime ihnen ließ, darf dem kollektiven Gedächtnis nicht verloren gehen. Die Mehrheit der Christen hat jedoch die Aushöhlung ihres Glaubens gar nicht bemerkt. Es gab ja die Fluchtburg der Innerlichkeit, den Glauben tief da drinnen, den einem keiner nehmen kann, die stille Wohltat am Nächsten, das Gebet im Kämmerlein. Vor allem aber gab es die Gewissheit des Heils und seine allsonntägliche Bestätigung in Gottesdienst, Abendmahl und Liturgie. Bonhoeffers Meinung, dass man in der Kirche nicht gregorianische Gesänge singen könne, wenn man es geschehen lasse, dass draußen die Juden abgeführt werden, entsprach nicht einer allgemein geteilten Vorstellung.

Mehr als 50 Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Die Welt hat sich verändert und mit ihr unsere Sprache, unsere theologischen und ethischen Denkmuster, die Wege der Kommunikation und die allgemeinen gesellschaftlichen und staatlichen Rahmenbedingungen. Macht es da noch einen Sinn, bei der Begründung einer Stiftung zu Beginn des 21. Jahrhunderts an die genannten Erfahrungen anzuknüpfen? Auch wir haben lange darüber nachgedacht, ob Namen wie Martin Niemöller und Julius Rumpf noch ein Ansporn sein können, wenn man heute Menschen ermutigen will, Verantwortung zu übernehmen, schlimme Dinge in der Gesellschaft nicht treiben zu lassen und Dämme zu errichten gegen Gewalt, Intoleranz, Entwürdigung und soziale Kälte. Was lässt sich heute noch vergleichen mit den alten Geschichten, die ich da gerade erzählt habe?

Wir meinten ein Grundmuster in allem – dem Früheren und dem heutigen – zu entdecken: nämlich dass die Errichtung solcher Dämme gegen den Verlust der humanen Orientierung in einer Gesellschaft eine Aufgabe in jeder Epoche ist, dass die Humanität der Inhumanität, die Gerechtigkeit der Ungerechtigkeit, die Menschenliebe der Menschenverachtung immer nur abgerungen werden können – mit Phantasie, Mut, Zähigkeit und oft hohem persönlichem Einsatz. Der Geist der Bergpredigt und der Gleichnisse Jesu einerseits und der Geist der Philanthropie, dieses schönsten Kindes der bürgerlichen Aufklärung, andererseits gehören eng zusammen. Diejenigen, die das begriffen haben, sind fast immer Kämpfer gewesen. Der Rückzug in die Innerlichkeit ist dabei sicher ein notwendiges Atemholen, ist zugestandenermaßen auch eine legitime Weise, Glauben zu leben: Aber wenn es die Kämpfer nicht gibt, wird der Raum für solch friedvolle Selbstgenügsamkeit bald eng werden.

Wir haben uns also entschlossen, ein Stiftung zu begründen, um mutigen, phantasievollen und wirkungsvollen Einsatz für Mitmenschlichkeit, für gewaltloses, kreatives Miteinander zu fördern und an die sprichwörtliche „große Glocke“ zu hängen, damit das gute Beispiel Nachahmer und Förderer finde. „

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