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Michael Daxner:
Auschwitz, die Shoah, beginnt auch in Potsdam, hier.

 

 

Prof. Dr. Michael Daxner Foto: Thomas Ahlmeyer
Prof. Dr. Michael Daxner
Foto: Thomas Ahlmeye

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VORBEMERKUNG:

Diesen Vortrag habe ich am 9.2.2019 in Auszügen bei einer Veranstaltung „Geist von Weimar – Geist von Potsdam“ gehalten; ich bin gemeinsam mit Eugen Ruge, Matthias Grünzig und Hanne Birkenbach aufgetreten, es wurde diskutiert, und vor der Veranstaltung wurde ein Baum gepflanzt. Die Vorträge waren durchaus heterogen und sind auch Ausdruck der Breite und unterschiedlichen Struktur der Ablehnung gegen den Bau der Garnisonkirche Potsdam.

Den Leser*innen des Blogs lege ich eine frühere Version des Themas nahe, die viele Argumente vorbereitet hatte und auch eine Reihe von Literaturstellen und Referenzen enthält, die ich jetzt nichtmehr eingebaut habe. TAG VON POTSDAM: DIE GARNISON DER UNBELEHRBAREN, 23.3.2018, wie immer unter michaeldaxner.com
Tag von Potsdam, die Garnison der Unbelehrbaren – und Widerstand

 

ABLEHNUNG DES AUFBAUS DER GARNISONKIRCHENTURMS IN POTSDAM

Die Stadt ist gespalten. Unter dem Neubau der Garnisonkirche in Potsdam leiden Freundschaften, politische Beziehungen und mein Lebensgefühl in dieser Stadt. Es gibt Gründe, warum ich diese Verwerfungen auf mich nehme; einige werde ich hier vortragen, zugleich versuche ich, die subjektiven Kernbereiche des Konflikts vor zu großer Beschädigung zu stützen. Jedenfalls hat dieses Bauwerk mein Leben in Potsdam verändert, der Widerstand dagegen hat es jedenfalls schwieriger gemacht.

Ich spreche heute ausdrücklich als Wissenschaftler und als jüdischer Deutscher bzw. Österreicher. Das bedeutet zum einen, dass bestimmte Formen der Argumentation keine Rücksicht auf ihre Wirkung nehmen dürfen; in diesem konkreten Fall geht es um die Behauptung der Illegitimität, den Kirchenbau mit dem Angebot zur Versöhnung zu verbinden. Zum anderen fühle ich mich als jüdischer Mensch angegriffen durch eine Politik, die sich der Geschichte bemächtigt und sie mir durch das Faktum aufzwingt, dass ja längst gebaut wird: ich soll mich abfinden, aber ich werde es nicht, und so muss ich den Turm als das denunzieren, was er ist: die Versöhnung der Täter mit sich selbst. Es handelt sich auch um jüdische Selbstverteidigung[1], die ich nicht alltäglich üben muss. Im Judentum spielt Versöhnung eine große Rolle. Dabei ist sie innerhalb der Religion wesentlich für die jüdische Gotteskonstruktion, während sie im Verhältnis zur Umgebungskultur vor allem aus den Quellen des christlichen Antijudaismus an die jüdischen Nachgeborenen eines vergangenen Unrechts herangetragen wird. Beides spielt hier eine Rolle: Gott braucht die Versöhnung der Menschen untereinander, damit er sich seiner Welt sicher kann, und dann den einzelnen Menschen ihre Sünden vergeben kann (d.h. etwas verkürzt, nur wenn er die Welt richtig gemacht hat, können die Menschen sich über ihre Wirklichkeit verständigen. Einer braucht den anderen dazu). Dies ist ein religionswissenschaftliches, wenn man will: ein theologisches Argument. Das andere ist politisch: wenn den Christen von heute die Judenverfolgungen der Vergangenheit leid tun, dann wollen sie, dass ihnen ex post vergeben werde. Das ist verständlich, aber nicht auf die Präsenz des Geschehenen Unrechts gerichtet. Verzeihung in diesem Sinn bliebe folgenlos. Und Versöhnung ist unmöglich, es sei denn – und das ist für das Folgende entscheidend – das Unrecht der Vergangenheit bestünde bis jetzt und in Zukunft fort, schüfe also eine Wirklichkeit, deren Anerkennung allein Versöhnung sinnvoll und möglich macht. Der Tag von Potsdam ist noch nicht vergangen. Deshalb einige verdichtete Aussagen dazu:

  1. Ich lehne das Angebot der Versöhnung durch die Erbauer des Turms ab. Es ist moralisch illegitim und politisch eine Provokation, d.h. angebotene Versöhnung ist nicht möglich.

Was Versöhnung nicht sein kann, wird mein Hauptargument gegen das Vorhaben sein. Es gibt noch weitere, auf die ich hier verzichte, die aber im Gesamtzusammenhang gleichwohl wichtig sind:

  • Stadtbild und kunsthistorische Erwägungen. Auch dies spaltet die Stadt, kann jeder Position zu Hilfe kommen oder sie abwerten. Aber es ist sozusagen eine intervenierende Variable, kann nie ein Hauptanlass für oder gegen den Bau sein.
  • Tilgung des DDR Unrechts und Vergleich der Regime der Vergangenheit, mit der Garnisonkirche als Anlass, nicht als Ursache des Diskurses. Dieser Aspekt kann noch eine wichtige Rolle spielen, steht heute bei mir nicht im Vordergrund.
  • Bewältigung oder Verarbeitung der Vergangenheit. Das wird ja heute wie ständig geübt, kann nicht aufhören. Aber es ist so vielschichtig und bedarf nicht der Garnisonkirche, um neu aufgelegt zu werden: gestern war es die Verfassung von Weimar im Nationaltheater, morgen wird ein anderer Splitter des zerbrochenen Spiegels sein, aus dem sich unsere Geschichte zusammensetzt, im besten Fall erkennbar.

Alle drei Bereiche stützen mein Argument, sie machen den Sachverhalt nicht komplexer, nur die Diskussion komplizierter.

Dadurch, dass die Argumentation der Erbauer in den Texten der Stiftung ausdrücklich religiös erfolgt, werfe ich dieser Stiftung Blasphemie gegen die eigene christliche Religion und eine unerträgliche Beleidigung nichtchristlicher Menschen vor. Die Blasphemie könnte mir gleichgültig sein, ich bin kein Christ, und religionssoziologisch handeln alle Kongregationen politisch, um ihre Anhänger weiter zu binden. Aber im Zusammenhang ihres Programms wird hier ein Angriff gegen genau die Wirklichkeit gefahren, mit der zu versöhnen die Turmbauer aufrufen.

  1. Die wesentlichen Programmpunkte der Stiftung und der Bauherrn lauten: „Geschichte erinnern – Verantwortung lernen – Versöhnung leben“ und „Es geht um die Heilung der offenen Wunde im Stadtbild Potsdams und um den christlichen Auftrag, Botschafter der Versöhnung an Christi statt zu sein.“

Diese beiden Prämissen der Stiftungsarbeit – und Grundlage des Einverständnisses vieler gut-meinender Bürgerinnen und Bürger – sind blasphemisch, unlogisch und politisch gefährlich. Irgendwie sind mir diese Sätze ungeheuerlich, unheimlich. Wären sie auch nur naiv und in gutem Glauben gesagt, schlimm genug. Aber es stehen auch Politiker, Theologen, Intellektuelle hinter diesen Worten. Ich habe dazu bereits ausführlich Stellung genommen, ein erster Versuch liegt Ihnen vor, ein weiterer wird demnächst in einem Buch erscheinen. Hier ganz kurz meine Antwort für die aktuelle Diskussion:

  • Geschichte erinnern – stattdessen müsste es heißen: Geschichte lernen und kritisch bewerten. Erinnern? Wie soll das geschehen außer mit Quellen, die unhinterfragt im kulturellen und kollektiven Gedächtnis aufbewahrt werden?

Antiphon: Wenn Geschichte erinnern soll, dann ist es die Erinnerung an die Abwesenheit Gottes in der Shoah. Wer soll das erinnern? Die, deren Grab in den Lüften ist[2], können es nicht. Wir Nachgeborenen sind entweder Kinder der Täter oder der Opfer. Wir können bedenken, aber nicht erinnern. Oder meint der Spruch, dass die Stiftung andere, vielleicht uns, erinnern will an die Geschichte, in ihrer Deutung? Auschwitz, die Shoah, beginnt auch in Potsdam, hier. Das braucht uns niemand zu sagen, aber vielleicht denen, die den Kirchenbau unterstützen? Die Geschichte lernen: Das wäre es. Aber der Turm steht ja schon. Dass man diesen Turm baut, bevor Geschichte gelernt werden kann, ist die Herausforderung, die nicht mehr eingeebnet werden kann.

In langen Jahren der Zusammenarbeit haben Aron Bodenheimer[3] und ich das Satzpaar entwickelt: nur wer vergessen will, darf sich erinnern. Warum sollen sich die Opfer und ihre Nachfahren erinnern wollen? Sie haben ja überlebt. Für die Täter sind die Toten bequemer, aber die Taten wollen sie auch nicht erinnern. Natürlich nicht, da braucht man nicht viel Psychologie. Aber weil sich nicht vergessen lässt, was unbegraben vor sich hinrottet, muss man erinnern, was sich nicht vergessen lässt, auch wenn man es nicht selbst erlebt hat (nur: warum gibt es mich, und meinesgleichen? Und wen gibt es nicht? Und derer zu erinnern, ist nicht einfach Volkstrauertag und ähnliches oberflächliches Ritual. Gedenken und Erinnern stehen in einem Spannungsverhältnis zu einander).

 

  • Verantwortung lernen – stattdessen müsste es heißen: Verantwortung tragen, haften. Die Stiftung bürdet die Verantwortung für ihre Missetat uns auf, wir müssen ertragen, was sie anrichtet.

Antiphon: wer hat was getan und gewusst, erinnert und vergessen? Verantwortung tragen bedeutet zu haften. Hier geht es nicht um Pädagogik, sondern um das Wissen Gottes: hat er das angerichtet? Und wenn nicht, wer dann? Die Prädestination, Hitlers Vorsehung, oder wer?

Antiphon: Jüdische Verantwortung ist stark aufs Leben, aufs diesseitige und wenig aufs ewige Leben orientiert. Nicht zufällig heißt die Zeitung des „Humanistischen Judentums“ diesseits.de[4]. Und im Zusammenhang mit der Verantwortung heißt das auch, dass wir zunächst Verantwortung für die Lebenden und die Überlebenden tragen. Friedensbewegung und Empathie speisen sich aus dieser Quelle. Ich würde gerne ausholen, um zu behaupten, die Verantwortungskategorie der Turmbauer sei jenseitig, wenn sie lernen wollen, was sie tragen müssen, weil es jetzt – bildlich gesprochen – ihr Kreuz ist, an Christi statt…dafür sprechen alle die Ornamente, die man jetzt schon in die Schaukästen stellt.

  • Versöhnung leben – stattdessen müsste es heißen: Versöhnung anstreben. Versöhnung kann man nicht leben. Zwei oder mehrere Kontrahenten können miteinander versöhnt leben, aber der Lebensvollzug als Versöhnung kann nicht sein. So einseitig, wie die Wirklichkeit von den Turmbauern angesehen wird, ist das eine Anmaßung.

Und das Stadtbild in Zusammenhang mit der Platzhalterschaft des Gottes(sohnes), an dessen Stelle man sich setzt, zu bringen, ist vielleicht eher sarkastisch oder gar komisch als blasphemisch. Aber ich bleibe beim Vorwurf der Blasphemie, weil ich an die Wirkung der Aufbauargumente auf andere Menschen denke, die nicht alle Fakten kennen oder die diese Fakten so gut kennen, dass sie das, was hier geschieht, schwer fassen können. Ich nenne den Bau des Turms bewusst Hitler-Hindenburg-Wallfahrt. Man kann auch noch die Preußenkönige hinzufügen.

 

  1. Nun soll es jetzt um den speziell jüdischen Aspekt gehen. Seit der Reichsgründung, seit dem deutschen Kolonialismus[5], seit Anbeginn der Weimarer Republik spielt der Antisemitismus und das Ziel der Judenvernichtung eine bedeutende Rolle in einem großen Teil der deutschen Bevölkerung (keine Verallgemeinerungen bitte, nie alle….aber eine offensichtliche Mehrheit, die sich nach 1933 nicht gegen den staatsbildenden Rassismus auch nur verbal aufgelehnt hätte, auch in den christlichen Kirchen). Wenn nun Versöhnung durch die Turmbauer angeboten wird, dann wem? Mit wem anders wollen sich die Nachfahren der Täter versöhnen als mit sich selbst? Mit uns jüdischen Deutschen gewiss nicht. Denn Versöhnung bedeutet etwas anderes als einseitige Vergebung der Schuldigen durch die Opfer. Versöhnung ist auch nicht wechselseitige Verzeihung zweier inkompatibler Schuld-Zusammenhänge. (Über die moralische Kollusion der Turmbauer mit ihren politischen und intellektuellen Unterstützern würde ich auch gerne weiter eingehen, denn hier findet diese Inkompatibilität ja statt).

Ich gehe jetzt auch nicht auf die religionswissenschaftliche Verbindung von Versöhnung und Judentum im Allgemeinen ein, dazu liegen in meinen Texten einige Zugänge und Textstellen vor. Im Kern geht es immer darum, Versöhnung mit Gott zu erlangen, nachdem man sich mit den Menschen versöhnt hat. (Sehr klar, man erbittet keine Verzeihung von Gott, nachdem man seinen Mitmenschen für irgendetwas verziehen hat…so einfach ist es nicht). Natürlich stehen die beiden in Verbindung zu einander, aber im Judentum ist es Gott, der verzeiht, wenn und nachdem sich der Mensch mit ihm versöhnt hat[6]. Nur reicht diese exegetische Auslegung nicht. Die Macht zu verzeihen hat, wer Macht hat. (Wenn das Opfer verzeiht, dann hofft es auf einen Mächtigen an seiner statt…)[7]. Das Opfer kann sich nicht mit der Wirklichkeit versöhnen. Darum aber geht es.

In Abgrenzung zum Christentum hat das Judentum schon sehr früh keine oder wenige Rituale oder Autoritäten über das Gewissen und den Willen zur Umkehr gesetzt. Das müsste nun den Vertretern der Taten (also Täter und ihre Rechts- bzw. Geistesnachfolger) zu denken geben: Aufrechnung verbietet sich bei sechs Millionen Ermordeten und unzähligen mehr Opfern, emotionales Verzeihen verbietet sich, weil ja niemand außer uns Nachkommen da ist, sie zu üben, und vollständige Vergebung kann, dem Dogma entsprechend, nur von Gott kommen. Das aber müssten die Täter schon mit ihm ausmachen, nicht mit den anderen Menschen[8]. Man möchte in das Geschichtsbild auch den Widerstand gegen die Nazis einbauen, um seine guten Intentionen zu beweisen (schlechtes Gewissen macht nicht automatisch klug).

 

Versöhnung kann nur anbieten (wollen), der eine bestimmte Wirklichkeit im Auge hat, die auch anderen Menschen erlauben würde, sich um diese Versöhnung zu bemühen. Versöhnung wird nicht angeboten und von anderen angenommen. (Man hätte die Wirklichkeit des Turmbaus so lange warten lassen können, bis wir uns insofern damit hätten arrangieren können, in ihm keinen Ort einseitigen, blasphemischen, geschichtsleugnenden Gedenkens zu sehen. „Wir“ heißt dezidiert ich und andere Gegner des Projekts. Bei einem spezifischen Potsdamer Shoah- und Kolonialmuseum wäre ich sofort dabei gewesen, als Ort, in dem sich die Täter eine andere Geschichte einfallen lassen können, als die, die sie gern erinnern wollen). Ich sage das als jüdischer Deutscher.

Das könnte nun genauso anmaßend klingen, wie ich es den Bauherrn vorwerfe. Aber es hat eine Intention, die nicht nur dem Bau entgegensteht, sondern den Konflikt aufgreifen will, nicht schon schlichten, bevor klar ist, worum es geht.

Kein Ereignis entgeht der Historisierung. Alle Versuche, die Geschichte mit Alleinstellungsmerkmalen zu fixieren, scheitern. (Das ist auch eine Konfliktlinie innerhalb der jüdischen Diskurse, durchaus zum lernen von Geschichte geeignet). Hier geht es darum, eine bestimmte Deutung der Potsdamer Garnisonkirche ins kulturelle Gedächtnis der Deutschen einzubringen, und zwar nicht nur durch den Text der Stiftungspolitik, sondern durch den Kontext eines Bauwerks, das ja räumlich und unangreifbar hier stehen soll – und etwas aussagt. (Hier kann auch die kunsthistorische Kritik der Potsdamer Stadtentwicklung, v.a. der Mitte ansetzen, die höchst selektiv auswählt, was diesem Gedächtnis hinzuzufügen wäre, was abgeräumt werden kann, und was neu dazu kommen darf, ohne die politische Ästhetik zu stören)[9]. Das kulturelle Gedächtnis ist keine lokale oder individuelle Angelegenheit, hier wird ein gesellschaftliches Ganzes kohäsiv zusammengebunden (nicht kohärent, in vielen Fällen)[10]. Mit dem Neubau der Garnisonkirche wird eine Tradition weitergeführt und befestigt. Die kann noch so kritisch und pluralistisch ummäntelt werden, was man sieht, steht ja da. Und dass es neu gebaut wurde, ist der Kitt zu einer Politik, die genau das rehabilitiert, wovon man eigentlich wegkommen wollte, wenn man Versöhnung sagt. Der Bau widerlegt all die schönen Worte, den Einbezug des Widerstands, die Offenheit gegenüber Kritik am Vergangenen. (Jüdisch und metaphorisch gesprochen, man darf lächeln, es hat hier keine Reinigung stattgefunden. Die wäre Voraussetzung von Versöhnung geworden). Die Rituale dazu sind mannigfach und hier nicht anschaulich zu machen. Im HOT gab es vor kurzem einen Dostojewski, der nicht Schuld und Sühne, sondern Verbrechen und Strafe hieß. So einfach wird der Text zurechtgeschoben, zu Recht. Die Strafe ist das Erinnern müssen, weil die, die am meisten Gedenkkultur in Stein und Ornament gießen, am liebsten vergessen wollen, was wirklich war. Ihre Strafe ist unsere Gegnerschaft, und die tragen wir politisch aus.

Ein letztes: wenn der Turm stehen wird, und nach unerfindlichem Ratschluss nicht gleich wieder in Staub zerfällt, dann wird viel Geschichtsunterricht und Anschauung um ihn herum geschehen, den Touristen wird die Wahrheit mehr oder weniger richtig erklärt, die Reiseführer, Zeitungen, Medien allgemein werden sich mit diesem Ort an der Breiten Straße auseinandersetzen, es wird Kritik und Zustimmung geben.

Dann werde ich mich noch immer fragen: wie konnten Millionen Menschen, das so genannte deutsche Volk, sich der Gewalt anschließen, um Millionen Menschen auszulöschen. Die Frage Wozu? Wäre gar nicht zu beantworten, aber die Warum? doch sicher. Und die Garnisonkirche ist Teil der Antwort, nicht die ganze Antwort und nicht die endgültige. Hier wurde gelernt und gelehrt, was nach 1933 furchtbarste Wirklichkeit werden sollte, und hier hat das Wort die Massen ergriffen, sodass die Wirklichkeit nicht standhalten konnte[11], z.B. am Tag von Potsdam.

Versöhnung kann und will ich nicht, weder anbieten noch annehmen. Aber versöhnlich denen gegenüber will ich sein, die meinen, trotz des fait accompli – der Turm wird ja gebaut – an der Verantwortung arbeiten zu können: dazu ist es auch jetzt nicht zu spät, ebenso wenig wie zur Umkehr.

[1] Warum ich nie von Juden spreche, habe ich ausführlich dargelegt: M.D.: Der Antisemitismus macht Juden. Hamburg (Merus), 2006. Darüber hinaus muss ich hier in Anspruch nehmen, was Hannah Arendt konkret so benannt hatte: „Wenn man als Jude angegriffen ist, muß man sich als Jude verteidigen“ (Interview 1963). Nur, wie verteidigt man sich als Jude, also als jüdischer Mensch, in einem Land, dessen Politiker manchmal feierlich noch immer von „Deutschen und Juden“ sprechen?

[2] Paul Celan: Todesfuge

[3] Wer von ihm nicht gehört, möge zunächst nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Aron_Ronald_Bodenheimer. Hier findet man auch eine kurze Bibliographie. Und es lohnt immer, sich auch kontrovers mit diesem Menschen auseinanderzusetzen.

[4] https://www.diesseits.de/perspektiven/s%C3%A4kulare-gesellschaft/begriffskl%C3%A4rung-humanistisches-judentum

[5] Ob die Begegnung Herzls mit Wilhelm II dem Zionismus bzw. der Idee des Judenstaates gedient oder geschadet hat, und in welchem Kontext zum Antisemitismus sie steht, ist umstritten. Deutschland hörte bald auf, in Hinsicht auf den jüdischen Staat eine große Rolle zu spielen, bis es negativ durch die Shoah seine Rechtfertigung zusätzlich lieferte. Aber da war es kein verhandelnder Akteur mehr.

[6] Ganz einfach: https://religionv1.orf.at/projekt03/religionen/judentum/feste/ju_fe_jom_kippur.htm (3.2.2019). Etwas mehr: Jüdisches Lexikon, 1927 (1987: Athenäum), Stichwort V.: Bd. 5, 1200-1201. Ein durchaus nicht religiöses Wörterbuch verzeichnet eine wichtige Einsicht: im frühen Glauben schafft der Mensch die Umkehr durch den Willen, Gotte bewirkt sie als Vergebung (Jes.45,7; Ex. 334, 6-7; Ez. 36,26). Vgl. auch Bd. 3, 310-313. Über das Problem von Schuld und Sühne gar nicht einfach: Babylonischer Talmud, hrsg. Lazarus Goldschmidt: Traktat Joma (Vom Versöhnungstage). Hier besonders: 85b, VIII, vii-ix. Auslegung von „Sünden der Menschen gegen Gott sühnt der Versöhnungstag, Sünden der Menschen gegen seinen Nächsten sühnt der Versöhnungstag nicht eher, als bis man seinen Nächsten besänftigt hat“. Und bitte die Fußnoten des Vortrags vom 3.2.2018 beachten.

[7] Die Macht zu begnadigen spielt in „Schindlers Liste“ von Spielberg für den KZ Kommandanten Amon Göth eine große Rolle: vor dem Spiegel wiederholt er zu sich dauernd: „Ich begnadige dich“. Zur Zeit viele IT-Links weil der Film wieder in die Kinos kommt.

[8] Aus dem jüdisch-christlichen Dialog, nicht gerade meine Sache: David R. Blumenthal. Umkehr und Vergebung. JCR 419 (2012): https://www.jcrelations.net/Umkehr_und_Vergebung.3958.0.html?&L=2 (3.2.2019).

[9] Das Gebäude am Eingang der Humboldtstraße ist ganz neu und verkörpert ziemlich eindeutige Nazi-Architektur, wird aber so nicht wahrgenommen, weil die meisten gar nicht wissen wollen, worin die auch bestand und was das heute bedeutet).

[10] In Anlehnung und Weiterdenken der Ansätze von Jan und Aleida Assmann.

[11] Die Paraphrase des Marxzitats bedeutet nur, dass die drei Ziele des Kirchenbaus zur materiellen Gewalt werden können, in Zukunft, so wie der Ort selbst der materiellen Gewalt früher seinen Rahmen und Standplatz gegeben hatte.

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