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Martin-Niemöller-Stiftung und Peremoha – Chronik einer Freundschaft (3)

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Teil 1 der Chronik finden Sie HIER

Teil 2 der Chronik finden Sie HIER


September 2006: „Das Buch des Lebens zu Ende lesen“

 

Im Archiv von Nicolay Krasnozhon,  früherer Bürgermeister und Geschichtslehrer in Peremoha, finden sich die Namen von 1.326 Verschleppten, die sich nach 1945 wieder in Peremoha zurückmeldeten. Orte und Arbeitsplätze sind dort akribisch verzeichnet.
Im September 2006 lud die Martin-Niemöller-Stiftung eine Gruppe von sechs ehemaligen Zwangsarbeiter*nnen nach Brandenburg ein.

Die Erinnerungsorte aufsuchen:

Der drängendste  Wunsch war das Wiederfinden der Orte, die seit Jahrzehnten mit teilweise traumatischen Erinnerungen verknüpft waren.

Am bewegendsten geschah dies beim Besuch in der kleinen brandenburgischen Gemeinde Schönfliess. Nicolay Krasnoshon, Anatoli Krasnoshon und Boris Oponaschenko waren als Kinder mit ihren Eltern auf den damaligen Gutshof der Familie von Veltheim deportiert worden. Die traumatischen Erinnerungen waren nicht mit Schönfliess verknüpft, sondern mit der Todesangst und dem Hunger während der Deportation. An ihre Zeit auf dem Gutshof hatten sie dagegen gute Erinnerungen. So war auch ein Zusammentreffen mit den Enkeln des damaligen Gutsbesitzers möglich, die Familienfotos mitbrachten. Für die Kommune war der Besuch Anlass, sich mit dem bisher nur wenig aufgearbeiteten oder gar geleugneten Kapitel der Ortsgeschichte zu beschäftigen.

Hanna Dschubenko hatte bei der Firma Sarotti in Tempelhof gearbeitet. Das Fabrikgebäude wurde inzwischen verkauft. Durch das Engagement von Dr. Just von Nestlé Deutschland, der eigens nach Berlin kam, war es möglich, das Gelände zu betreten. („Ich möchte mit meinen Füßen noch einmal auf diesem Boden stehen“, sagte sie.) Genauso wichtig waren Kopien aller Fotos und anderer Dokumente aus dieser Zeit, die sich im Firmenarchiv gefunden hatten, und die Dr. Just  mitbrachte.

Valentina Antonenko hatte in einem der mehr als 1000 Lager gearbeitet, die nach dem Krieg fast alle niedergerissen wurden. Trotz Recherchen war es nicht möglich, den genauen Standort zu klären. Sie war zufrieden, in Berlin gewesen zu sein.

Nicolay Kucera hatte auf dem Gelände des alten Nordbahnhofs (Güterbahnhof) gearbeitet, durch das jetzt der Mauerpark verläuft. Er überlebte die Bombardierung, indem er sich in der U-Bahn versteckte. Auch für ihn war nichts mehr von damals zu sehen, aber er war dennoch „zurückgekehrt“. Bereits am ersten Tag war er angesichts eines sonnenbeschienen fröhlichen Biergartens in Dahlem mit dem Satz „Ich habe falsch gelebt“ in Tränen ausgebrochen. Er habe sich sein Leben lang mit „falschen“ Erinnerungen an Hunger, Bomben, Kälte und Grausamkeiten gequält.

Ehrung und Würdigung erfahren

Die Gäste wurden von hochrangigen Vertretern von Bund, Land und Kirche empfangen. Zu den Gastgebern gehörten Ministerin Heidemarie-Wieczorek-Zeul,  Gert Weisskirchen MdB (Aussenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion), MdB Dr. Bärbel Kofler (Vors. Deutsch-Ukr. Parlamentariergruppe), Almuth Berger (Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg), Bischof Wolfgang Huber, (Ratsvorsitzender der EKD).

Begegnungen und Gespräche:

Die wichtigste war die mit Jugendlichen an der Gabriele-von-Bülow-Schule in Tegel. Es konnten sich sehr dichte und wahrhaftige Gespräche entwickeln, die die Schüler/innen sehr beeindruckten. Die Gespräche mit den Politikern dagegen verliefen eher zurückhaltend; die Gäste schienen darauf bedacht, keine Kritik an Deutschland zu üben.

Generationenübergreifende Gespräche gab es auch beim offenen Treffen im Garten des Martin-Niemöller-Friedenszentrums in Dahlem, zu dem auch die Ev. Kirchengemeinde Dahlem eingeladen hatte.

 


September 2008: „Das Buch des Lebens zu Ende lesen“ (2)

 

Am 27. August 1943 wurden mehr als 1.300 Bewohner Peremohas zur Zwangsarbeit  nach Deutschland deportiert, vor allem Frauen, Jugendliche und Kinder.  Nach einem zweiwöchigen Transport in Güterwaggons erreichten sie Frankfurt/Oder, wo sie für 13 Reichsmark pro Arbeitskraft für den Einsatz in der Landwirtschaft angeboten wurden. Allein 120 Menschen aus Peremoha kamen so nach dem brandenburgischen Alt-Madlitz, wo sie auf dem Gutshof der Familie Finckenstein arbeiten mussten. .

Neun  von ihnen kamen im September auf Einladung der Martin-Niemöller-Stiftung nach Brandenburg und Berlin.

Vier von ihnen waren noch Kinder zwischen zwei und fünf Jahren, als sie verschleppt wurden. Für alle war es das erste Wiedersehen mit Deutschland sein. Erstaunlich präzise waren die Bilder und Erinnerungen, die sie seit über 60 Jahren mit sich trugen, und alle träumten davon, Alt-Madlitz wiederzusehen.

Einer von ihnen drückte es einmal so aus:  „Ich möchte das Buch meines Lebens endlich zu Ende lesen“.

 

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Marie Gliten

Marie Gliten (82) war 14, als sie zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Bruder nach Alt- Madlitz kam. Ihre Mutter war im Nachbardorf von den deutschen Besatzern bei lebendigem Leib verbrannt worden, ihr Vater war bei der Armee. Sie hatte in Peremoha Hinrichtungen mit ansehen müssen. In Alt-Madlitz hat sie Kartoffeln geerntet, Steine aus den Feldern aufgesammelt und im Wald gearbeitet. Vor der Befreiung versteckte sie sich im Wald in Erdlöchern.

Marie Gliten ist Witwe und lebt allein. Sie hat drei Kinder, von denen eine Tochter vor kurzem verstorben ist. Früher hat sie Gitarre und Mandoline gespielt und viel gesungen. Sie arbeitet noch in ihrem Beruf als Bestatterin.

 

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Olga Krasnoshon (78) und Alexandra Doroschenko (77)

 Olga Krasnoshon kam mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Brüdern nach Alt-Madlitz. Der kleinere der Brüder starb auf dem Rücktransport in Polen, der ältere, Vasyl, gehört auch zur Besuchergruppe.

In Alt-Madlitz haben sie und Alexandra Doroschenko im Sommer auf dem Feld gearbeitet, im Winter Weizen verarbeitet. Sie erinnern sich besonders präzise an den Aufseher.

Olga Krasnoshon hat zwei Kinder; ein Sohn ist verstorben. Beide Frauen konnten nur wenige Jahre die Schule besuchen und arbeiteten in der Kolchose in der Milchwirtschaft.

 

DSC05159Vasyl Krasnoshon (68)war drei Jahre alt, als er mit Mutter, dem jüngeren Bruder und Schwester Olga nach Alt-Madlitz kam. Er war noch zu klein, um sich erinnern zu können. Auf dem Foto von 1944 sieht man ihn mit Mutter, Schwester und dem kleineren Bruder.

 

 

 

 

DSC05140Varvara Gorban (78)wurde zusammen mit ihren vier Geschwistern verschleppt. Das jüngste war damals 3 Jahre alt, und sie hatte Angst, das Kind  unterwegs zu verlieren. Sie erinnert sich daran, wie sie für die kleineren Geschwister immer wieder um Brot gebettelt hat, und dass sie damals keine Hoffnung hatte, wieder nach Hause zu kommen.

Varvara lebt heute allein. Sie hat einen Sohn. Nach dem Krieg arbeitete sie in Peremoha als Briefträgerin.

 

Ivan Gorban

Ivan Gorban (76) kam mit 11 Jahren nach Alt-Madlitz, zusammen mit seinen vier Geschwistern. Der Vater war damals  im Krieg, die Mutter  war 1941 gestorben. Die Kinder und Jugendlichen molken Kühe, hüteten Schafe und arbeiteten auf dem Feld.

Ivan Gorban lebt heute mit seiner Frau in Peremoha. Er ist Rentner und hat in der Landwirtschaft gearbeitet.

 

 

Gliten, PavelPavel Gliten (70) war fünf Jahre alt, als er mit seiner Mutter nach Brandenburg deportiert wurde. Während die Mutter arbeitete, blieb er – wie alle kleinen Kinder – tagsüber allein und unversorgt. In einem Kellerversteck wartete er auf die Befreiung durch die Rote Armee. Die ersten drei Monate nach der Befreiung verbrachte er mit seiner Mutter in Polen.

 

 

 

Mykola ZagorskyiMykola Zagorsky (67) war zwei Jahre alt, als er mit den Eltern und drei Geschwistern nach Alt-Madlitz kam. Er kennt den Ort bisher nur von Erzählungen, er selbst hat keine Erinnerungen. Mykola Zagorsky lebt mit seiner Frau in Peremoha.

 

 

 

 

DzusIvan Dzus (69) wurde mit vier Jahren verschleppt, zusammen mit seinen Eltern und der zwölfjährigen Schwester. Eltern und Schwester sind inzwischen verstorben. Über ihren Aufenthalt in Deutschland wollten sie nicht reden; nur darüber, dass sein Vater einmal „fast totgeschlagen“ wurde
Er sagt, dass er sein ganzes Leben davon geträumt habe, einmal zu dem Ort zurückzukehren.
Ivan Dzus hat Radiophysik studiert und in Kiew an der Hochschule unterrichtet.

 

 

Alt Madlitz

Alt-Madlitz liegt im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree, zwischen Fürstenwalde und Frankfurt/Oder und ist heute ein Ortsteil von Madlitz–Wilmersdorf. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte das Dorf 305 Einwohner, heute dürften es um die 200 Einwohner sein.

Der Ort  wird geprägt durch die Kirche und das Herrenhaus der Grafen Finck von Finckenstein. 1945 wurde der Gutshof im Rahmen der Bodenreform enteignet, diente bis 1970 als Kindergarten und stand dann leer. Seit der Wiedervereinigung befindet es sich wieder im Besitz der Familie Finck von Finckenstein, die das Gutshaus restaurieren ließ und heute wieder bewohnt.

Nach Berichten aus Peremoha befand sich während des 2. Weltkriegs direkt neben der Kirche ein kleineres, mit Stacheldraht abgezäuntes Lager für Franzosen.

Das Barackenlager für die Ukrainer befand sich ca. 2km südlich von Alt-Madlitz und wurde  vor der „Belegung“ durch die Ukrainer als Kriegsgefangenenlager genutzt und für die Neuankömmlinge geräumt.

Die Arbeit

Auf die Frage, für wen sie gearbeitet haben, antworteten alle: „Für die Gräfin“, so dass davon auszugehen ist, dass alle ukrainischen Zwangsarbeiter für die Bewirtschaftung der Ländereien des Gutshofes der Familie Finck zu Finckenstein eingesetzt wurden. Außer der Gräfin wurde kein Mitglied der Familie benannt; auch die Gräfin selbst bekamen die Arbeiter/-innen wenig zu Gesicht. Einer erinnert sich, dass die Gräfin dreimal mit einem Pferdegespann am Lager vorgefahren sei. Des weiteren wurde eine deutsche Hauswirtschafterin erwähnt.

Sehr genaue Erinnerungen haben alle Befragten jedoch an den Verwalter oder Aufseher, einen ca. 40jährigen, sehr großen  Mann mit rötlich-blonden Haaren. Er wird beschrieben als brutaler „Chef“, der die Arbeiter mit der Peitsche antrieb, sie schlug, kleine Verstöße brutal ahndete und Macht demonstrierte. Olga Krasnoshon sagt, dass sie heute noch von ihm träumt.

Ein weiterer deutscher Arbeiter wurde von den Ukrainern als „Der Blaue“ tituliert, weil er immer blau angezogen war. Es handelte sich um einen jüngeren Mann mit Frau und ca. fünfjähriger Tochter, der freundlich war, zusätzliche Essensrationen besorgte und durch Pfiffe warnte, wenn der „Chef“ sich näherte.

Die Arbeitszeit betrug täglich zehn Stunden, von 7 bis 19 Uhr. Die Arbeiter/innen wurden morgens mit Hunden zur Arbeit abgeholt.

Das Leben im Lager

Das Barackenlager war mit Stacheldraht umgeben. Man schlief auf zweistöckigen Holzpritschen und auf Strohsäcken. Die Baracken wurden als schmutzig und verwanzt beschrieben.

Vor allem für die Kinder gab es kaum Kleidung. An den Füßen trugen die Arbeiter holländische Holzschuhe, oder sie liefen barfuss.

Die Essenszuteilung betrug 11kg Brot pro Monat für Familien, 7 kg für Alleinstehende. (Marie: „Ich träume von Brot.“), 600g Nudeln, 900 g Zucker, dazu Margarine, Marmelade. Die Lebensmittel konnten einmal pro Monat in Briesen mit Marken abgeholt werden, und sie wurden auch untereinander getauscht.

In der Nähe soll es ein deutsches „Sanatorium“ gegeben haben. Wenn Spaziergänger aus dem Sanatorium vorbeikamen, wurden sie um Brot angebettelt; einige haben dann auch Lebensmittel am Zaun liegen lassen.

Die Situation der Kinder war besonders hart. Sie blieben tagsüber weitgehend unbeaufsichtigt, niemand kümmerte sich um sie. Größere Kinder versuchten, für die kleineren Nahrungsmittel zu stehlen. Einige Kinder sind im Lager gestorben. Von zweien wurde berichtet, dass sie tagsüber angebunden wurden und dabei zu Tode kamen.

Allerdings konnten die Kinder, im Gegensatz zu den Erwachsenen, das Lager auch verlassen und wurden auch zu kleineren Botengängen geschickt. Pawel Gliten erinnert sich, dass er  zu einem Bierlokal geschickt wurde, um für 25 Pfennige Bier zu holen.

Am Wochenende hatten auch die Erwachsenen Ausgang.

Es gab auch eine russisch sprechende Lagerärztin, die jeden Morgen vorbeikam.

Ivan Gorban erinnert sich an einen Mann, der öfter mit seiner Ziege spazieren ging, und der ein wenig ukrainisch sprach. Dieser lud ihn zum Mittagessen ein.

Gegen Kriegsende wurde ein Teil der Baracken zerbombt. Nach der Bombardierung versteckte sich ein Teil der Zwangsarbeiter in Alt-Madlitz, andere versteckten sich im Wald in Erdlöchern.

In Alt-Madlitz zeigten uns die Frauen eine Stelle auf dem Dorffriedhof, wo sie während des Krieges zwei Frauen und zwei Kinder aus Peremoha begraben hatten. Heute erinnert nichts mehr an die Toten. Wir versprachen  damals, an dieser Stelle an die Toten und an das Schicksal Peremohas zu erinnern.

 

Oktober 2010: Ein Gedenkzeichen für Peremoha

 

 

Einweihung
Im Oktober 2010 wurde das Versprechen, in Alt-Madlitz einen Gedenkort für die dort verstorbenen Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder zu schaffen, realisiert.

Inzwischen waren Namen und Todesdaten recherchiert worden und in Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung von Alt Madlitz alle Vorbereitungen getroffen, um eine kleine Gedenkstätte zu errichten. Eine wertvolle Hilfe war uns Maria Krasnoshon, die als 19jährige ihre Mutter in Alt Madlitz begraben musste und sich noch an viele Details erinnerte. Leider starb sie kurz danach. Zur  Einweihung konnten wir die Tochter einer der verstorben Frauen einladen, die selbst als Kind mit ihren Geschwistern nach Deutschland verschleppt wurde, und Nadjeschda Mudrenok, die bisher eine Konfrontation mit dem Ort,  in den sie als Kind verschleppt wurde, vermieden hatte.  Für die Trauerzermonie nach orthodoxem Ritus luden wir auch Vater Alexander Jarmoltschik aus Peremoha ein, und als Vertreterin des Dorfes die Bürgermeisterin Tatjana Rychlik.

 Für die künstlerische Umsetzung beauftragten  wir den Fürstenwalder Bildhauer und Keramiker Friedrich Stachat, der ein „Gedenkzeichen für Peremoha“ entwarf. Die veranschlagten Kosten von ca. 5.000 Euro wurden durch einen weit gestreuten Spendenaufruf eingeworben.

Der Besuch fand vom 7. bis 12.Oktober 2010 statt. Im Mittelpunkt stand  die feierliche Einweihung des Gedenkzeichens in Alt Madlitz, dem sich zwei Tage in Berlin mit Begegnungen und Kulturprogramm  anschlossen.

Die künstlerische Realisierung des Gedenksteins setzte eine lange und intensive Diskussion in Gang.  Der Gedenkstein sollte ein nachgeholtes Sichtbarmachen eines Grabes  sein, gleichzeitig in Deutschland an hier geschehenes Unrecht erinnern – innerhalb dieser Zielsetzung lagen die ästhetischen Spielräume. Nach Gesprächen mit der Gemeinde und mit dem Fürstenwalder Künstler Friedrich Stachat erteilten wir den Auftrag für  eine Holzskulptur in Form eines gebrochenen Kreuzes, das auf einer Stahlplatte steht. Auf einer separaten Tafel sollten in deutsch und ukrainisch die Namen der Toten und Informationen zum historischen Hintergrund eingraviert werden.

Die Erinnerungsorte aufsuchen

Vor dem offiziellen Einweihungstermin zeigten wir der Gruppe das Dorf, die nähere Umgebung und vor allem die Gebäude, die die vorherigen Besucher als „Lager“ identifiziert hatten. Nadjeschda Mudrenok war als fünfjähriges Kind in das Lager in Alt Madlitz gekommen. Sie hat während ihres gesamten Aufenthalts das Grundstück nicht verlassen; das Dorf war ihr fremd. Sie konnte aber  Hinweise geben, dass auf einem Teil des großen Grundstücks damals Baracken standen, in denen zuvor russische Kriegsgefangene untergebracht waren. Die anderen kannten den Ort und das Lager aus den Erzählungen ihrer Angehörigen. Wir besuchten auch den Friedhof, wo bereits die Skulptur stand. Zu unserer Freude und Erleichterung teilte sich die Symbolik des gebrochenen Kreuzes den Besuchern aus Peremoha unmittelbar mit und sie planten gemeinsam das orthodoxe Trauerritual für die Einweihung.

Die Einweihung des „Gedenkzeichens für Peremoha“

Die Einweihung fand am Samstag, den 9. Oktober in Alt Madlitz statt. Das Programm sah eine Trauerfeier auf dem Friedhof vor, gefolgt von einer Gedenkveranstaltung in der Kirche und einem anschliessenden Treffen im Gemeindehaus.

Neben den Besuchern aus Peremoha kamen zur Einweihung offizielle Vertreter der Kirche und Gemeinde, Botschaftsrat Vasyl Khymynets, die Presse und zahlreiche Freunde der Martin-Niemöller-Stiftung und Peremohas aus ganz Deutschland. Unerwartet hoch war die Teilnahme von Bürger/innen aus Alt Madlitz und Umgebung.  Die Eröffnungsworte von Superintendent i.R. Eckhard Fichtmüller erinnerten nochmals an den Anlass, der die Teilnehmenden an diesem Ort zusammengeführt hatte: „Die Berichte der Überlebenden hören wir mit Anteilnahme und Betroffenheit – und mit Scham über das, was von Deutschen getan wurde. Das Gedenkzeichen soll auch das erinnern, was sie erlebt, erlitten, ertragen haben. Es lässt sich von uns mit Worten kaum beschreiben. Für mich ist für etwas zu erkennen von den Lasten, die Menschen aufgebürdet werden, von der Härte des Lebens, die zu Boden drückt – und von dem stützenden Halt, der verhindert, dass sie, dass wir ganz niedergeschlagen werden. Jede, jeder wird dieses Gedenkzeichen mit eigenen Augen, mit eigenem Herzen sehen und deuten.“

 

Die Gedenktafel trägt folgende Aufschrift in Deutsch und Ukrainisch:

„Das Geheimnis der Versöhnung heisst Erinnerung“

Im August 1943 zerstörten deutsche Truppen das ukrainische Dorf Jadliwka (heute Peremoha). Mehr als 1.300 Menschen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, etwa 150 Frauen und Kinder in ein Lager nach Alt-Madlitz.

Hier starben

Odarka Fedotivna Krasnozhon *1903 –  +1943
Uljana Prohymivna Doroshenko *1903 – +1944
Petro Mytrovytsh Byshovetc *1935 – +1943
Mykola Fedorovytsh Krasnozhon *1941 – +1945
Wir gedenken ihrer in der Hoffnung auf Frieden und Versöhnung.

Begegnungen und Gespräche

Die nachhaltigsten Gespräche fanden im Gemeindezentrum in Alt Madlitz statt. Gemeindevertreter hatten sich anhand eines Fernsehfilms über Peremoha (WDR 2001) auf den Besuch vorbereitet und so  eindrückliche Vorstellungen von den Geschichte und den heutigen Problemen des Dorfes gewonnen.

Daneben  gab es eine Reihe weiterer Gespräche und Begegnungen:

  • Ein Gesprächstreffen gab es im Friedenszentrum Martin-Niemöller-Haus.
  • Das Ehepaar Schwarz-Heidiri lud die Gruppe privat in seine Wohnung ein.
  • Die Gruppe war Gast von Heidemarie Wieczorek-Zeul im Deutschen Bundestag.
  • Die Besuchergruppe wurde beim Sonntagsgottesdienst im Dom von Fürstenwalde vorgestellt und begrüßt; beim anschließenden Beisammensein gab es eine Reihe von informellen Gesprächen mit Interessierten.

Wie wichtig das „Gedenkzeichen für Peremoha“ ist, erfuhren wir sowohl von den Angehörigen der Toten aus Peremoha, und von denen, die heute  im Dorf leben. „Wir haben jetzt einen Ort in Deutschland, der an unsere Geschichte erinnert und zu dem wir gehen können“, meinte Bürgermeisterin Rychlik. Und Tamara Baluta sagte vor dem Abschied: „Mein Vater und seine Schwestern haben als Kinder hier ihre Mutter verloren. Sie waren allein und haben nicht verstanden, was mit ihnen passiert ist. Aus ihren Erzählungen kenne ich Alt-Madlitz, seit ich lebe. Ich weiß nicht, ob ihr verstehen könnt, wie wichtig für es uns ist, dass es diesen Ort gibt, und dass wir hier sein konnten.“

Aus Gesprächen wissen wir auch, dass die Fotobücher, die die Besucher von uns erhalten, Eingang in den Schulunterricht in Peremoha finden, und dass Zeitzeugen auch dort eingeladen werden, um von ihren Erfahrungen in Deutschland zu berichten. So haben die bisherigen Einladungen nicht nur individuelle Auswirkungen auf das Leben der Zeitzeugen, sondern auf das Zusammenleben der Menschen in Peremoha.

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