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Schwerpunkt Frieden

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Ulrich Frey

Ein Kommentar[1] zur Kundgebung der Synode der EKD vom 13.11.2019
von Ulrich Frey

 

Die Kundgebung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 9. bis 13.11.2019 in Dresden zum Schwerpunktthema „Frieden“[2] ist mit Spannung erwartet worden. Die Kundgebung enthält wertvolle Anstöße zur Debatte des Leitbildes des gerechten Friedens. Bereits ab dem Frühjahr 2018 hatte die EKD einen breiten und aufwändigen Konsultationsprozess initiiert. Fachkundige aus den EKD-Gliedkirchen, der Wissenschaft, aus Friedensinitiativen und Friedensverbänden beteiligt. Ergebnisse des Konsultationsprozesses waren Texte von fünf thematischen Arbeitsgruppen, ein friedenstheologisches Lesebuch und der Entwurf der Kundgebung. Den EKD-Synodalen lagen bei der Entscheidung am 13.11.2019 aber nur das Lesebuch[3] und der Entwurf der Kundgebung vor, leider nicht – entgegen den vorherigen Ankündigungen – die Ergebnisse der Arbeitsgruppen.

Im Wesentlichen zu begrüßen sind die Ausführungen der Kundgebung zu den Themenbereichen der Gewaltfreiheit, der nachhaltigen Entwicklung und des Klimaschutzes, des gesellschaftlichen Friedens und der europäischen Verantwortung. Auf einzelne kritische Punkte kann hier aus Raumgründen nicht eingegangen werden. Die grundlegenden Aussagen zur Gewaltfreiheit sind in dem Kapitel über die „Herausforderungen durch Automatisierung, Cyberraum und Atomwaffen.“ (S. 6 f.) praktisch und politisch nicht eingelöst worden. Was theologisch und ethisch vorgegeben wird, ist praktisch-politisch nicht schlüssig dargelegt.

Einige wichtige Kritikpunkte an dem Inhalt der Kundgebung sind jedoch im Folgenden zu nennen.

Die Bemerkung, „automatisierte, teilautonome und unbemannte Waffensysteme“ dienten „auch dem Schutz von Zivilisten und Zivilistinnen“, ebnet den schleichenden politischen Weg zur Einführung solcher Waffen. Denn sie suggeriert die Annahme, dass die Gefährdung von Zivilpersonen ausgeschlossen werden könne. Der Verzicht auf Drohnen wird in der verabschiedeten Kundgebung im Gegensatz zum Entwurf nicht mehr erwähnt und deshalb auch nicht gefordert. Der Satz „Wir sehen die Notwendigkeit, zur Vermeidung … von Konflikten im Cyberraum auf der Grundlage ethischer Kriterien ein völkerrechtlich verbindliches Cyberrecht zu entwickeln …“ lässt fragen, welche ethischen Kriterien das sein könnten.

Klar ausgedrückt ist die überfällige Positionierung der EKD zur Ächtung der Atomwaffen. „Dennoch erscheint uns heute angesichts einer mangelnden Abrüstung, der Modernisierung und der Verbreitung der Atomwaffen die Einsicht unausweichlich, dass nur die völkerrechtliche Ächtung und das Verbot von Atomwaffen den notwendigen Druck aufbaut, diese Waffen gänzlich aus der Welt zu verbannen.“ Positiv zu beurteilen ist auch die Aufforderung an die Bundesregierung, konkrete Schritte zur Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages einzuleiten, allerdings durch Detailforderungen etwas verwässert. Die Kundgebung enttäuscht zur Frage der Abschreckung, weil diese Strategie im Gegensatz zum Entwurf nicht mehr als unwirksam deklariert wird. Die Abschreckung wird gar nicht erwähnt, obwohl der Rat der EKD in seiner Denkschrift im Jahre 2007 mit einer kontroversen Interpretation der politischen und strategischen Folgerungen geurteilt hatte: „Die Tauglichkeit der Strategie der nuklearen Abschreckung ist jedoch in der Gegenwart überhaupt fraglich geworden. Aus der Sicht evangelischer Friedensethik kann die Drohung mit Nuklearwaffen heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet werden.“[4] Die Nichterwähnung bedeutet, dass das „noch“ der VIII. Heidelberger These aus dem Jahre 1959 wieder auflebt, nämlich: „Die Kirche muss die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen.“[5] Die Forderung, die in Büchel lagernden Atomsprengköpfe sollten abgezogen werden, wird in dem Beschluss der Synode so nicht erhoben. Zu lesen ist nur: „Dass auch vom deutschen Boden (Büchel) atomare Bedrohung ausgeht, kann uns nicht ruhig lassen.“

Ines-Jaqueline Werkner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), kommt bei „Berücksichtigung des politischen Wandels“ zu dem Schluss: „Nukleare Abschreckung kann ‚eine heute noch mögliche‘, das heißt ethisch verantwortbare Option darstellen, wenn sie an Rüstungskontroll- und Abrüstungsschritte rückgebunden wird, um einem Frieden in Freiheit näher zu kommen.“[6] Das Problem ist eben nur, dass keine Fortschritte bei Rüstungskontrolle und Abrüstung erkennbar sind. Im Gegenteil, Rüstungskontrolle und Abrüstung stagnieren. Die in der Kundgebung so versteckte, mitgedachte atomare Abschreckung wird in der Ökumene seit der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver (1983) und den folgenden Vollversammlungen abgelehnt, zuletzt in Busan 2013. Der ÖRK beschloss in Vancouver: „Das Konzept der Abschreckung, dessen Glaubwürdigkeit von der Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen abhängt, ist aus moralischen Gründen abzulehnen und nicht geeignet, Frieden und Sicherheit langfristig zu sichern.“[7] Dem schloss sich die Ökumenische Versammlung der Kirchen in der DDR Dresden – Magdeburg – Dresden 1989 mit dem klassischen Verdikt an: „Wir erteilen Geist, Logik und Praxis der auf Massenvernichtungsmitteln gegründeten Abschreckung eine Absage“.[8]

Auf Seiten der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr ist Unterschiedliches zu lesen. Im Handbuch „Friedensethik im Einsatz“ heißt es zum „Sonderproblem: Nuklearwaffen“: „Könnte ein Einsatz von Nuklearwaffen streng auf ein oder mehrere militärische Ziele beschränkt werden und würde er voraussichtlich keine ausgedehnten, langanhaltenden und schweren Umweltschäden verursachen und außerdem als verhältnismäßig in dem Sinne angesehen werden, dass kein exzessiver Kollateralschaden verursacht würde, könnte er kaum als unzulässig angesehen werden.“[9] Militärbischof Sigurd Rink, in dessen Zuständigkeit auch das Jagdbombergeschwader in Büchel gehört, formuliert vorsichtiger: „Nach der Erfindung … der Atomwaffen ist die dritte Revolution in der Kriegführung längst angebrochen. Die Aufkündigung des INF-Vertrages … macht zwar deutlich, dass Atomwaffen als ultimatives Abschreckungsmittel noch immer nicht ausgedient haben, doch technologisch sind sie kam mehr zeitgemäß.“ Am Ende seines Buches steht die Mahnung: „Die Fortentwicklung einer Friedens- wie einer Militärethik ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“[10]

In der katholischen Kirche haben Papst Franziskus und die Deutsche Kommission von Justitia et Pax die nukleare Abschreckung eindeutig abgelehnt. Die römisch-katholische Kirche ist klarer und deutlicher als die EKD-Synode 2019. Schon bei dem Symposium „Aussichten für eine atomwaffenfreie Welt und für eine ganzheitliche Abrüstung“ im Vatikan 2017 sagte Papst Franziskus „Die nukleare Abschreckung ist keine angemessene Antwort auf die Herausforderungen der Sicherheit in einer multipolaren Welt, … Die nukleare Abschreckung schafft weder stabilen noch sicheren Frieden; sie trägt zu Angst und Konflikt bei. … Massenvernichtungswaffen, insbesondere Atomwaffen, schaffen nichts als ein falsches Gefühl der Sicherheit“. Sie schaffen auch eine Kultur der „gegenseitigen Einschüchterung im internationalen System.[11] Die Deutsche Kommission Justitia et Pax veröffentlichte am 17.6.2019 eine Erklärung „Die Ächtung der Atomwaffen als Beginn nuklearer Abrüstung“; in der sie festhält: “Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat die neueren Entwicklungen in den Bereichen der internationalen Politik und des Militärwesens im Licht der maßgeblichen Kriterien der kirchlichen Friedensethik und des Völkerrechts betrachtet und bei der ethischen Beurteilung vor allem das Kriterium der Verhältnismäßigkeit und das sog. Diskriminierungsgebot (Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten) angewandt. Sie gelangt dabei zu dem Schluss, dass die bisherige moralische Duldung der Strategie der nuklearen Abschreckung als Konzept der Kriegsverhütung aufgegeben werden muss. Die mächtigsten Atomwaffenstaaten lassen keinen ernsthaften Willen erkennen, von ihr abzurücken, sondern setzen programmatisch darauf, einen Atomkrieg führen, begrenzen und gewinnen zu können. Die Kommission hält diese Vorstellung in gefährlicher Weise für illusionär. Zudem senkt sie die Hemmschwelle für den Einsatz von Atomwaffen. Die Atommächte ignorieren außerdem die vielfältigen Risiken, die aus der wachsenden Komplexität und zunehmenden Unbeherrschbarkeit der internationalen Politik erwachsen, durch Atomwaffen aber kaum verringert werden können, sondern durch sie eher noch steigen. Sie sind erneut bereit, für die Modernisierung der Atomwaffen und für neue Waffensysteme Unsummen zu investieren, die anderweitig dringend nötig wären, um die gewaltigen Herausforderungen bewältigen zu können, mit denen die Weltgesellschaft gegenwärtig und zukünftig konfrontiert wird.“[12]

Insgesamt vermittelt die Position der Synode und damit der EKD zu den Atomwaffen den Eindruck großer Nähe zur politischen Richtung der Bundesregierung im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 7.2.2018: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationieren taktischen Nuklearwaffen.“ [13]

Die theologische und politische Bewertung der Atomwaffen, besonders das Konzept der Abschreckung, ist eine der Schlüsselfragen auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens, auf den sich auch die Friedenssynode der EKD begeben hatte. Die Weitergeltung der Abschreckung markiert einen Stillstand der Entwicklung von Friedenstheologie und Friedensethik. Sie blockiert friedenspolitisch die Suche nach einer nachhaltigen Sicherheits- und Friedenspolitik, wie sie z.B. in dem Ansatz des badischen Szenarios „Sicherheit neu denken“[1] angedacht wird.

Ulrich Frey, AG Friedensarbeit der Evangelischen Kirche im Rheinland, Mitglied des Vorstandes der Martin-Niemöller-Stiftung e.V.

[1]https://www.ekiba.de/html/content/szenario_sicherheit_neu_denken.html

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